Jeder hat mal einen schlechten Tag

Schlechter TagAn einem verregneten Tag ist es nicht immer leicht, fröhlich und beschwingt aufzustehen. Das kennt jeder und das ist auch bei kleinen Wespen nichts anderes. Aber es nützt nichts, irgendwann muss man das kuschelige Bettchen verlassen. Auch unser kleiner Leo.

„Muss ich wirklich mit zum Nektar holen?“, Leo schaut aus dem Fenster und möchte sich am liebsten wieder in sein Zimmerchen verkrümeln.
„Jaa, auch an solch einem Tag müssen wir ausfliegen. Wie sollen wir denn sonst an Nahrung herankommen? Die Vorräte sind aufgebraucht!“, Liesel redet auf ihren Bruder ein. Wespen, das sollte man wissen, fliegen bei Wind und Regen und bestäuben auch so ganz nebenbei.
„Nee, ich komm` nicht mit! Es ist nass und kalt. Igitt!! Außerdem habe ich keine Lust!“ Trotzig setzt sich Leo auf sein Bettchen und verschränkt die Ärmchen. Seine Fühler berühren seine bunte Bettdecke.
„Du kommst mit, egal, ob du Lust hast! Du hast auch Hunger und wer nicht mitsammelt, nur weil er keine Lust hat, dürfte dann auch nicht mitessen! Wir müssen viel Nahrung sammeln, die können Lotti und ich nicht allein tragen!“. Liesel ist es sehr ernst. Leo aber hört gar nicht richtig hin und kringelt sich in sein Bettchen ein.

Dieses ganze Hin und Her dringt auch bis zur Mama vor. Sie steht in der Küche und hat nicht mitbekommen, worum es eigentlich geht. Aber wenn Liesel ihr Stimmchen erhebt, dann ist etwas passiert. Soviel ist sicher.
„Was ist denn hier los? Ich wollte den letzten Hackepeter für das Essen zubereiten.“ Die Mama sieht die beiden an und fragt: „Streitet ihr euch etwa?“ Sie legt ihre Stirn in kleine Fältchen.
„Leo hat heute keine Lust, auf Nahrungssuche zu gehen“. Liesel verrät eigentlich niemals ihre Geschwister, aber das findet sie gar nicht in Ordnung.
„Du hast doch gerade gehört, wir haben noch Hackepeter da. Der wird schon reichen. Und morgen sehen wir weiter.“ Leo findet seine Idee klasse und grinst ein bisschen siegesgewiss.
„Morgen, morgen… Morgen hast du wieder eine andere Ausrede.“ Liesel ist traurig, dass sie so mit ihrem Bruder reden muss, der sie einfach nicht verstehen will.
„Morgen – klar, wer weiß, was morgen ist. Heute bleibe ich jedenfalls im Bett…“, antwortet Leo und zieht einen Schmollmund.
Schließlich unterbricht die Mama: „Schluss jetzt! Alle beide! Leo, du stehst jetzt auf und machst dich flugfertig!“ Leo möchte Einspruch einlegen, aber die Mama setzt fort: „Leo, ich kann verstehen, dass du mal keine Lust hast. Aber es nützt nichts. Wir müssen alle etwas tun, auch wenn wir keine Lust haben. Und manchmal wandelt es sich sogar in einen superschönen Tag. Und wenn ihr zurück seid, gibt es Hackepeter. Der wartet solange, in Ordnung?!“
Widerwillig steht Leo auf. Lotti steht schon abflugbereit am Ausgang und auch Liesel kommt dazu. Sie ist immer noch sauer auf Leo und er ist immer noch bockig. „Was ist denn los?“ fragt Lotti und stupst Leo an.
„Hast du mal rausgeguckt? Bei soooo einem Wetter sollen wir raus!? Den Bienen würde das nicht passieren. Ganz im Ernst! Die fliegen nicht bei solch einem Wetter! Aber wir… na klar… Wer braucht überhaupt Regen??“. Leo wird etwas wütend und seine Fühler wirken ein bisschen wie kleine bockige Hörnchen. Außerdem kann er nicht verstehen, dass Lotti gar kein Problem damit hat, bei Regenwetter rauszufliegen.
„Ach Leo, meinst du nicht, dass du etwas übertreibst? Regen ist außerdem superwichtig. Und sieh es doch mal so: Wir sind fast allein. Die Bienen bleiben heute zu Hause. So bleibt mehr für uns. Ich kann daran nichts Schlechtes erkennen!“ Lotti versucht, ihren Bruder aufzumuntern.
„Ich habe einfach keine Lust. Das ist alles“, antwortet Leo leise. Ein bisschen schämt er sich nun auch für seine Bockigkeit.
„Waaas? Das ist dein Problem? Nicht dein Ernst, Leo!“. Lotti muss sich das Schmunzeln verkneifen. „Und deswegen vorhin der Streit? Was hat denn die Mama gesagt?“, wollte Lotti wissen.
Liesel antwortet ihr nun etwas ruhiger: „Sie hat gesagt, dass er mit muss. Aber auch, dass es in Ordnung ist, wenn man mal keine Lust hat“. Und wie Liesel das so sagt, kann sie auch ihre Mama verstehen. Trotzdem: Manche Dinge dulden keinen Aufschub, sondern – egal ob man nun Lust hat oder keine – sie müssen gemacht werden.

Unterwegs über Wiesen und Felder fliegen sie von Blüte zu Blüte, bestäuben ein bisschen und bekommen für ihren Bestäubungsdienst Nektar, den sie mit nach Hause nehmen. Und der ist jede Mühe wert. Leo hat inzwischen seine Unlust vergessen und ihm ist wieder eingefallen, dass er und auch seine Geschwister und überhaupt alle kleinen Flügelwesen sehr wichtig sind. Genauso wie der Regen wichtig ist, sonst würde alles austrocknen und nichts mehr gedeihen. Das haben sie in der Schule gelernt und Leo weiß es im Grunde auch. Aber er hatte nur eben keine Lust – und da ist es manchmal schwer, über seinen Schatten zu springen.

Zu Hause angekommen, liefern die 3 ihre Nektar-Beute ab und die Mama ist sehr stolz. Leo hat sich überlegt, was er wohl sagen würde, wenn die Mama noch einmal auf den Streit von heute Morgen eingeht. Aber die Mama tut so, als wäre nichts gewesen. Leo weiß ja, dass sein Streit mit Liesel unnötig war. „Liesel, es tut mir leid wegen des Streits“, fängt Leo leise an. „Ich hatte…“ – er wird von seiner großen Schwester unterbrochen, die seinen Satz fortsetzt: „…keine Lust… Ich weiß, Leo… Es ist nur schade, dass wir uns deswegen zanken mussten.“
Leo schaut auf den Fußboden und erwidert: „Ich weiß ja… ich bin eben manchmal so. Kannst du mich nicht verstehen?“
„Doch, ein bisschen schon. Ich habe auch nicht immer Lust“, antwortet Liesel und nach einer kleinen Pause fragt sie ihn: „Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie ich mich dabei fühle, wenn du so wütend bist? Wenn du das nächste Mal keine Lust hast, denke bitte daran, dass wir 3 viel schneller fertig sind und alle leckeres Essen haben. Auch du, Leo. Ich war wirklich sehr traurig.“ Liesel sieht ihren Bruder an und sagt ihm dann etwas fröhlicher: „Wir reden nicht mehr darüber, alles ist gut, und beim nächsten Mal wird es besser gehen. Abgemacht?“. Freudestrahlend über diesen Vorschlag und dass Liesel ihrem Leo nicht mehr böse ist, setzen sich alle zusammen und essen gemeinsam den restlichen Hackepeter und naschen von dem neuen leckeren Nektar.

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