Ab wann ist man verdächtig?
Die Tage vergehen, ohne dass es ein Lebenszeichen von Sabine gibt.
Ihre Freundin Amanda denkt beinahe ständig an sie und fragt sich, was wirklich geschehen ist und am meisten beschäftigt sie die Frage, warum – sollte sie Probleme und Sorgen haben – sie sich ihr nicht anvertraut hat. ‚Hab ich ihr vielleicht einen zu beschäftigten Eindruck gemacht?‘, fragt sie sich schließlich. ‚Wäre ja logisch, schließlich habe ich Mann und Mäuse zu Hause…‘ – klingeling, klingeling… Amanda wird vom Läuten des Telefons aus ihren Gedanken gerissen.
„Hallo…“, meldet sie sich – ein bisschen zaghaft aus Angst vor dem Teilnehmer am anderen Ende. Schlagartig kommt ihr in den Sinn, es könnte Sabine sein oder aber: „Guten Tag, hier spricht Beyer von der Polizei. Wir ermitteln nun intensiv wegen des Verschwindens von Frau Swoboda und befragen nun jeden, der sie kennt und möglicherweise mit ihr in der letzten Zeit Kontakt hatte. Wäre es wohl möglich, dass Sie in den nächsten Stunden nochmals auf der Polizeidienststelle vorbeikommen?“
„Ja, natürlich, ich komme jetzt gleich“ antwortet Amanda und ihre Gedanken kreisen.
Ihre Familie befindet sich auswärts, so dass sie einen Zettel mit der Notiz „bin bei der Polizei zur Befragung“ hinterlässt.
„Guten Tag nochmals, Beyer mein Name“, stellt sich der Ermittler vor, fordert Amanda freundlich auf „Kommen Sie bitte“ und führt sie in einen Befragungsraum. Amanda ist mulmig zumute.
„Bin ich verdächtig? Brauche ich einen Anwalt?“ fragt sie Herrn Beyer, als er die Tür schließt.
„Nein! Wir führen nur Befragungen durch und machen uns dann ein Bild“ mit prüfendem Ermittler-Blick beruhigt er sie und möchte alles von Amanda wissen – und bitte jedes Detail -, was sie von ihrer Freundin weiß.
Seufzend antwortet Amanda, dass sie den Eindruck hat, eigentlich nicht so viel von ihrer lebenslustigen Freundin zu wissen. Sie erzählt von dem seltsamen Typen, von dem sie sich beobachtet fühlt und vom Ex-Mann und ihren Kindern und Sabines Arbeitsstätte.
„Dorthin müssen wir natürlich auch noch. Den Mann haben wir schon befragt, aber er war auf Geschäftsreise. Das haben wir schon geprüft“ wirft der Ermittler ein.
„Hat sie einen Liebhaber, eine Bekanntschaft, irgend sowas? Und wissen Sie Genaueres über diesen Mann, dem Stalker?“
„Ich weiß es nicht!“, antwortet Amanda ein bisschen gereizt. „Ich sagte doch schon, dass ich offenbar nicht so viel von ihr wusste, wie ich es eigentlich dachte!“ und fragt nach einer gefühlten Sekunde: „Haben Sie schon die Krankenhäuser angerufen? Vielleicht hatte sie einen Unfall?“ – wobei ihr einfällt, dass sie in diesem Fall ja nicht hier befragt werden würde.
„Bitte regen Sie sich nicht auf! Haben wir alles gemacht, aber leider nichts…“ antwortet Herr Beyer ruhig und gelassen.
„Ja. Tut mir leid. Ich kann Ihnen sonst nichts weiter sagen!“ Sie spielt etwas nervös an ihrer Handtasche herum, die auf ihrem Schoß liegt und fragt: „Kann ich jetzt gehen?“
„Noch nicht! Wie war das Verhältnis zu Ihrer Familie?“, fragt Herr Beyer.
„Wie meinen Sie das?“ fragt Amanda verdutzt.
„Naja, kennt Frau Swoboda Ihre Familie?“
„Ja. Flüchtig. Aber was hat das mit Sabines Verschwinden zu tun?“. Amanda wird leicht panisch. Das ist normal, wenn die eigene Familie scheinbar in den Fokus gerät.
„Was verstehen Sie unter flüchtig?“ möchte der Ermittler genauer wissen.
„Wir waren damals, als sie noch verheiratet war, bei ihr zu Hause eingeladen. Das war das einzige Mal.“
„Verstehe… seit wann ist Frau Swoboda eigentlich geschieden?“ fragt er weiter.
„Sie lebt in Scheidung. Die ist noch nicht durch“ antwortet Amanda. „Warum fragen Sie mich das alles?“. Mit wenig Verständnis und Kopfschütteln schaut sie den Beamten an.
Mit einem Seufzer antwortet er: „Sie sind offenbar die einzige Person, die Frau Swoboda gut genug kennt“. Nach einer kurzen Pause steht er auf, reicht Amanda die Hand und sagt: „Das war es erst mal. Sie haben mir schon sehr geholfen. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte!“
Amanda steht ebenfalls auf und verabschiedet sich mit einer letzten Frage: „Sie denken bestimmt, dass Sabine einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist?!“
Der Beamte setzt sich mit einer Gesäßhälfte auf den Schreibtisch und legt seufzend seine Hände in den Schoß. „Nun ja, wir ermitteln in alle Richtungen. Das müssen wir auch. Deswegen dürfen Sie diese Befragung nicht persönlich nehmen.“ antwortet er ausweichend.
„Sie haben meine Frage nicht beantwortet…“ setzt Amanda nach.
Mit einem leichten Kopfnicken und festem Blick sieht er Amanda an: „Davon müssen wir leider ausgehen…“ Ihr stehen augenblicklich die Tränen in den Augen.
In den letzten Tagen war ein wenig Ruhe eingezogen, aber von der wird nun nicht mehr viel übrig sein.