Liesels Kollision und Absturz

Während eines sonnigen Sommertages, es wehte ein leichter Wind, waren Liesel und ihre Schwester Lotti unterwegs. Die Mama hat ihnen aufgetragen, Blütenstaub mitzubringen. Liesel flog vorneweg, Lotti guckte sich die Gegend an und hing ein bisschen hinterher, aber weil sie es nicht eilig hatten,  konnten sie ein bisschen bummeln.

„Lotti“, sagte Liesel, „schau mal, dort drüben gibt es Staub von den Blüten, wie sie die Mama gerne hat. Wir sollten auf der Blume la…“. Das Wort landen konnte Liesel nicht mehr sagen, da krachte es. Und zwar ordentlich. Krach, bums, doing… Autsch… Das saß!

Sie ist mit einem Wespen-Jungen aus der Nachbarschaft zusammengekracht. Genau genommen mit Emil – und beide trullern auf den Erdboden. Das war eine Bruchlandung vom Feinsten. Liesel und Emil tat alles weh. Zuerst müssen sie sich den Popo und dann die Köpfe reiben, die Fühler hängen sowieso von schief nach schräg und auch sonst sehen sie ziemlich mitgenommen aus – eben zwei Bruchpiloten mit schwarz-gelben Streifen. Das hat die Welt noch nicht gesehen.

„Man, kannst du nicht aufpassen? So ein…“ – Liesel verkniff sich zu sagen, was sie dachte.

Als sie genauer hinsah, erkannte sie, mit wem sie da zusammenknallte.

„Pass du doch selber auf!“ erwiderte Emil.

Vor lauter Schreck hat sie Lotti ganz aus den Augen verloren. „Lotti?? Bist du irgendwo? Bist du auch abgestürzt??“ Liesel rief über alle Blumen und Gräser hinweg, während sie sich die Erde von ihrem Bäuchlein strich. Aber von Lotti keine Spur.

Was Liesel nicht weiß, ist, dass Lotti mit abgestürzt war. Ihr Kopf hat einfach das nachgemacht, was Liesel gemacht hatte und ist direkt hinterher abgestürzt. Und plumps, lag sie ebenfalls im hohen Gras – und das war sehr hohes Gras. Jedenfalls zu hoch für kleine Wespen.

„Emil, siehst du Lotti? Sie muss hier irgendwo sein.“

„Nö, ich kann nichts sehen“ antwortete er und schaute ganz verträumt die Liesel an.

„Emil, du kannst dich wirklich mal nützlich machen und Lotti suchen. Schließlich sind wir wegen dir abgestürzt“ – Liesel hatte kein Verständnis für Emils Wimpern-Klimperei. Die verging ihm auch auf der Stelle: ‚Na toll, jetzt bin ich schuld. Klasse. Was kann ich denn dafür, dass sie die Augen sonst wo haben‘. Emil war sauer. Das fand er ungerecht. Und dann diese Art… ‚du kannst dich mal nützlich machen‘ äffte er Liesel ein bisschen nach.

„Das habe ich gesehen“, rief Liesel und hob ihr Köpfchen ein bisschen hochnäsig.

‚Soll sie doch und außerdem muss ich gar nichts…‘ sagte er sich bockig und wendet sich beleidigt ab. ‚Sie hätte mal fragen können, ob ich mir etwas gebrochen habe. Aber nee…‘ dachte er sich traurig und enttäuscht. Eigentlich findet er Liesel ja toll. Sie ist so elegant und bestimmt eine ganz tolle große Schwester im benachbarten Wespen-Zuhause. Viel weiß er von ihr nicht. Aber was er bisher gesehen hat, reicht ihm vollkommen.

„Nun schmoll nicht so“ versucht Liesel einzulenken. „Wir suchen gemeinsam“. Sie fliegen hoch und suchen. Vier Augen sehen nämlich mehr als zwei.

Nach einer Weile finden sie im grünen Gras, gleich neben einer wunderschönen Blume, die Lotti.

„Geht es dir gut?“ fragt Liesel besorgt. „Ja, habe mir nur ein bisschen den Popo… naja, wehgetan. Aber das wird schon gleich besser.“

Irgendwie sahen alle drei ziemlich lädiert aus, aber nachdem sie sich gesammelt hatten, flogen sie wieder los. Über wunderschöne Sommerblumen hinweg, die Gräser wogen sich im Wind, ganz so, als würde er eine Melodie spielen.

Plötzlich fällt ihnen ein, dass sie noch ein bisschen Pollen mit nach Hause bringen müssen. Das war überhaupt der Grund, warum sie unterwegs waren.

„Du-hu, Liesel“ fing Emil leicht errötet und etwas stotternd an, „es tut mir leid, dass ich vorhin so geträumt hatte und ihr deswegen abgestürzt seid.“ Liesel tat es auch leid. Sie lächelte Emil an. „Ich hatte ja auch nicht meine Augen vorn. Es tut mir leid, dass ich vorhin so ungerecht zu dir war. Das war blöd von mir.“ Ein bisschen schämte sie sich dafür, aber dann schmunzelte sie und sagt weiter: „Eigentlich fand ich dich immer komisch, Emil. Wie du fliegst, wie du redest und überhaupt wie unordentlich manchmal deine Fühler herumhängen.“

„Meine Fühler???“ Emil war entsetzt. „Was stimmt nicht mit meinen Fühlern?“ Emil fand seine Fühler toll. Klar ist hier und da mal ein Knick drin, meist von irgendeinem Absturz, aber im Prinzip toll – schräg, aber toll. Die hat nämlich nicht jede kleine Wespe. Außerdem sind es die einzigen, die er hat und die erweisen ihm tagein und tagaus einen guten Dienst. ‚Die gehören zu mir – basta!‘ dachte er weiterhin und sagte dann zur Liesel: „Aber du kennst mich doch gar nicht!“ Emil war schon wieder eingeschnappt. ‚Pah, komische Fühler, komischer Flug. Und wie ich rede. So ein Unsinn! Wichtig ist doch, was man sagt und nicht, wie man redet, sagt meine Mama immer. An Liesel ist bestimmt auch nicht alles gerade‘ versucht er, sich Mut zu machen.

Lotti fliegt um Emil herum: „Ärgere dich nicht, sie meint das nicht so. Vielleicht mag sich dich ja sogar“.

„Da hat Liesel aber eine komische Art, mir das zu zeigen“ – überzeugt war Emil also nicht.

Nach einer Weile des Nichts-Sagens und Nur-Herumfliegens lenkte Liesel ein und flog zu Emil hinüber, sah ihn keck von der Seite an und machte ihm einen Vorschlag: „Wir können uns ja jetzt kennenlernen, also richtig. Zusammengeknallt und abgestürzt sind wir schon mal. Was denkst du, kriegen wir das hin?“

Emil lächelte Liesel verschmitzt an und hatte einen tollen Vorschlag: „Liesel, wir vergessen einfach alles, was war und fangen von vorn an, wir lernen uns richtig kennen.“

„Das ist eine gute Idee, Emil.“ Der Wespen-Junge machte sich einen Spaß daraus und sagte zur Liesel: „Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Emil und ich wohne nur ein Zuhause von deinem entfernt“.

„Sehr angenehm, ich bin die Liesel von nebenan“, antwortete diese mit einem breiten Grinsen.

Da mussten alle drei lachen. Rundum zufrieden sammelten sie Blütenstaub ein und machten sich schließlich auf den Heimweg.

Und wer weiß, ganz bestimmt hat Liesel einen neuen Freund gefunden.

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