[in Erinnerung an Schulzeiten meiner Lieben und auch meiner eigenen]
Emil sitzt ganz traurig auf seinem Stühlchen im Klassenzimmer. Es gab gerade Knatsch auf dem Schulhof, denn er wurde von den anderen Jungs aus der Klasse gehänselt und ihm wurden schlimme Worte an den Kopf geworfen. Die Jungs sind größer und stärker als Emil. Da hat er keine Chance und das weiß er. Leo und Lotti standen ihm zum Glück zwar bei, aber traurig ist Emil trotzdem und seine Fühler hängen runter.
Die Lehrerin bemerkt Emils Kummer – und fragt in die Klasse, was passiert ist, denn es muss etwas in der Pause geschehen sein. Nur so ist zu erklären, warum Emil plötzlich so geknickt dasitzt. Ein Junge, der wohl das Sagen in der Klasse hat, antwortet ganz unschuldig: „Na nüscht…“ und einige der Mitschüler feixen leise. Die Lehrerin weiß natürlich, dass das geschwindelt ist und fragt nochmal, was sie mit Emil gemacht haben und so sagt jener Junge schließlich: „Der sieht so komisch aus. Und die Fühler sind krumm und schief. Und außerdem: wie der schon redet.“ Der Junge verleiert seine Äugelein und die halbe Klasse kichert.
„So, und jetzt möchte ich wissen, warum ihr lacht!“, fordert die Lehrerin ihre Klasse energisch auf und hebt ihre Augenbrauen. Sie kann sich schon vorstellen, was vorgefallen war. Aber von den Schülern kommt keine Antwort. Alle sehen ihre Lehrerin an. So haben sie sie noch nicht erlebt.
„Na gut“, die Lehrerin holt tief Luft: „Dann frage ich euch: Was denkt ihr denn, was euer Verhalten mit Emil macht? Oder wenn es umgekehrt wäre: was würde es mit euch machen? Könnt ihr euch vorstellen, gehauen oder beschimpft zu werden?“
„Ich habe Kumpels. Das passiert mir nicht!“, sagt ziemlich hochnäsig der große Junge.
Ein anderer Junge meinte aber schließlich: „Das hätte mir wehgetan“.
Alle sehen zu Emil – und einer ruft: „Pah! Wehgetan… Man sieht ja gar nichts. Keine Beule, nix. Wir haben nämlich nicht gehauen!“. Plötzlich schnattern alle durcheinander. Der eine Schüler ruft: „So ein Quatsch!“, ein anderer schreit: „Zeig‘ doch mal deine Aua!“
Die Lehrerin ruft schließlich zur Ruhe, schaut Emil an und fragt ihn aufmunternd: „Kannst du den anderen sagen, wo genau es wehtut? Damit sie es verstehen…“ – und er antwortet: „Hier drinnen…“ und zeigt auf seinen ganzen kleinen Körper.
„Eben… Hier drinnen. Und dann tut einem alles weh, das Herz, der Magen, eben alles – auch wenn es die anderen nicht sehen können.“ Der Lehrerin stehen ein bisschen die Tränen in den Äugelein. „Ich möchte, dass ihr wisst, dass auch Worte verletzen können. Nicht nur, wenn ihr euch mal haut. Beides ist dolle schlimm und nicht schön! Das macht man nicht! Ihr könntet wirklich netter zueinander sein!“ Die Schüler gucken etwas betroffen zum Emil und der eine oder andere hat wohl die Worte der Lehrerin verstanden. Sie setzt ihre kleine Rede fort: „Warum könnt ihr euch nicht verstehen und so nehmen, wie ihr nun mal seid? Jeder ist einzigartig! Ich wünsche mir sehr, dass ihr das versteht und euch auch mal selber seht. Jeder hat seine Macken und jeder möchte von den anderen gemocht werden. Auch du…“. Ihr Blick geht zu jenem Jungen, der Emil gehänselt hat. „Du bist so groß und stark. Das ist doch unfair. Ich möchte, dass du dich ehrlich bei Emil entschuldigst!“ Ein bisschen widerwillig entschuldigt sich der Junge. Ganz verstanden hat er das wohl noch nicht.
In jedem Fall hatte dieses Ereignis gewirkt, denn es blieb eine ganze Weile ganz ruhig in der Klasse – und das ist toll.
In der nächsten Zeit gibt sich der Junge sogar so viel Mühe, dass er den heruntergefallenen Stift seiner Lehrerin aufhebt. Sie bedankt sich freundlich: „Ich finde das toll. Warum hast du das gemacht?“.
„Ach, wir waren gestern bei der Oma und ihr ist etwas heruntergefallen. Naja, meine Mama sagte mir, dass ich mich auch mal bücken und etwas aufheben kann, auch wenn es mir nicht gehört. Schließlich würde mir keine Perle aus der Krone fallen.“ Die Lehrerin streichelte dem Jungen über sein Köpfchen und flüstert ihm zu: „Ich bin stolz auf dich. Und du siehst, du kannst auch anders…“
Beim Hinausgehen aus dem Klassenzimmer lässt er mit einer galanten Armbewegung seiner Lehrerin den Vortritt, die sich lächelnd bedankt.
Der Junge lächelt ebenfalls und weiß nun: Freundlichsein ist gar nicht so schwer und kostet nichts, aber man bekommt ein Lächeln zurück. Ganz bestimmt!
Die Geschichte – Hänseleien tun weh – kostenfrei downloaden.