Liesel – die kleine fleißige Wespe

Dies ist Liesel – gezeichnet von Tamara (5 Jahre)

An einem schönen Sonntag früh Ende Juli wurde die kleine Wespe Liesel von ihrer Mama losgeschickt, möglichst schmackhaftes Essen für die Familie zu holen. So flog sie also los und sah sich auf den Gartentischen der zweibeinigen Lebewesen um, denn sie ist eine kleine schlaue Wespe und weiß, dass sie dort die leckersten Häppchen finden kann. Auf ihrem Flug kam sie auch auf dem Balkon von Susann und René vorbei – und es fielen ihr förmlich die Augen heraus.

Wow, Hackepeter!  Die beiden Menschlein waren gar nicht begeistert von ihrem Besuch und fuchtelten ein bisschen mit den Händen herum. Sie solle bitteschön wieder verschwinden. Aber das tat sie nicht. Im Gegenteil: sie hatte ja den superleckeren Hackepeter erschnüffelt – das richtige Mahl zum Sonntag, mindestens. ‚Hach, die würden Augen machen zu Hause…‘ Liesel malte sich aus, wie sich ihre Mama wohl freuen würde. Sie selbst hatte natürlich auch Hunger, wie kleine Wespen nun mal Hunger haben. Und so einen leckeren Hackepeter gibt es nicht alle Tage, soviel stand fest.

René fiel ein kleines Stück Hackepeter auf seinen Teller – das war ihre Chance. Sie stürzte sich drauf und – oh je, was war das? Es war zu schwer. Hm, aber das wäre doch gelacht, wenn Liesel das kleine Stückchen Fleisch nicht doch irgendwie kleinkriegen würde. Sie ließ sich nicht unterkriegen.

Nun ist solch eine kleine Wespe von der Natur mit allerlei Werkzeug ausgestattet worden und so zerschnitt sie – fast im Handumdrehen – das kleine Stückchen Fleisch und drehte und wendete es so lange unter ihrem schlanken Körper, bis sie es richtig festhalten und von dannen fliegen konnte.

Es dauerte nicht lange, da kam sie zurück, denn kleine Wespen sind ganz schön pfiffig und wissen, wo sich eine lohnende Futterstelle auftat. Sie nahm also das andere Stückchen und war schwuppdiwupp entflogen.

Susann und René waren begeistert. Donnerwetter. Das war schon ein kleines Schauspiel, wie flink die kleine Wespe das Stück Fleisch in transportierbare Größen schnitt. Und weil ja jedes Lebewesen leben möchte, auch die kleine Wespe, die offenbar heute an der Reihe ist, ihre Familie zu ernähren, haben die beiden auf dem Schüsseldeckel am Rande des Tisches ein klein wenig Hackepeter abgestellt – nur für Liesel.

Kurze Zeit später kam sie zurück, suchte – und fand auf dem Deckel Leckereien – nur für sie. Liesel konnte es kaum glauben, dass es sowas noch gibt. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen. ‚Hach, so etwas Feines…‘ – schwärmte sie – ‘…ein Eldorado an Köstlichkeiten‘.

Nun galt es jedoch, jedes Fleischstückchen wieder in fluggerechte Portionen zu teilen. Sie machte sich also eifrig ans Werk. Ein Stückchen war so groß, dass sie arge Mühe hatte, es klein zu machen. Sie schob und räumte und kam so immer weiter an den Rand des Deckels, auf dem die Leckereien lagen, und plumps – da war sie auch schon samt ihrer Beute rücklings auf dem Tisch gelandet. Liesel musste sich schütteln und flog wie wild umher, schimpfte, dass das ja wohl eine Frechheit sei. Aber sie beruhigte sich ganz schnell und widmete sich wieder ihrem Stückchen. Sie hatte echt zu tun, die arme kleine Wespe…

Liesel tat Susann leid und dass sie so schuften musste, obgleich da schon klar war, dass Liesel ganz bestimmt eine verdiente Schwester, wenn nicht gar die Heldin des Tages in ihrer Familie werden würde.

Als Liesel sich auf den Weg gemacht hatte, um ihre Beute nach Hause zu schaffen, zerkleinerte Susann die Stückchen abermals in transportable Größen und dann ging es hintereinander weg. Im Nu wurden die restlichen Stücke von Liesel weggebracht. Sie kam, nahm und zack, war sie weg. ‚Großartig, das ist ja toll…‘, dachte sich die kleine Wespe.

Als sie es nun geschafft und alles weggetragen hatte, kam sie – aus reiner Gewohnheit natürlich – noch einmal vorbei. Aber der Teller war ja nun leer. Das kümmerte unsere Liesel jedoch wenig, sie hatte ja heute schon sehr fleißig gearbeitet und für ihre Familie tolles Essen nach Hause gebracht.

In den frühen Abendstunden, als René und Susann auf dem Balkon die Abendsonne genossen, kam Liesel erneut vorbeigeflogen – in der Hoffnung, dass es wieder Leckereien gab. Sie flog und suchte, aber zum Abendessen war es noch zu früh.

Als einige Zeit später allerdings der Tisch gedeckt wurde und auch der Hackepeter wieder zum Vorschein kam, dauerte es nicht lange und Liesel war wieder mit dabei. Susann und René waren sich sicher, dass sie im nahestehenden Baum nur darauf gewartet hatte, dass es endlich losgeht mit dem Schmaus. Da die beiden sehr tierliebe Zweibeiner sind und ganz viel Verständnis für Liesels Lage hatten, haben sie erneut Portionen auf einen kleinen Teller bereitgestellt und das Schauspiel begann von neuem.

Nun wissen wir ja alle, dass kleine Wespen abends wieder zu Hause sein müssen. Das ist nämlich bei kleinen Wespenkindern nicht anders als bei Menschenkindern. Wie an jedem Tag hatte ihre Mama gesagt: „Wenn es langsam dunkel wird, kommst du heim, liebe Liesel, damit du dich ja nicht verfliegst und dir auch sonst nichts geschieht.“ Aber Liesel hatte noch viel zu tun. Sie wollte unbedingt alle kleinen Fleischstückchen nach Hause bringen. Die Portionen waren ja nun schon in flugfertige Größen aufgeteilt, sodass Liesel im Akkord die Stückchen aufnahm – suchen musste sie ja schon lange nicht mehr, denn sie war schlau und wusste, wo ihre Nahrungsquelle ist – und alles peu á peu nach Hause brachte.

Susann und René wunderten sich schon seit einer ganzen Weile, warum eigentlich nur Liesel vorbeikam. Hat sie denn niemanden davon erzählt? Sie hätte ja eine Schwester oder einen Bruder oder gar Tante und Onkel mitbringen können, damit sie alles ganz flink nach Hause bringen konnte. Vielleicht auch so viele Wespen, dass sie gleich den ganzen Teller hätten aufnehmen können. Oder wollte sie sich gar ganz beliebt machen bei ihrer Familie und alles ganz allein schaffen, bevor die Dunkelheit über sie kam?

Es kann aber auch sein, dass Liesel Unterstützung bekam und dass irgendwo auf halber Strecke eine liebe Freundin oder Schwester oder auch der Bruder auf sie wartete und die Beute in Empfang nahm, um sie flink nach Hause zu bringen. Daher braucht Liesel nur noch die Hälfte der Zeit und das spart Kräfte – und die brauchte sie. Schließlich gab es noch viel zu tun.

Am Ende des Tages hatte Liesel aber den ganzen Teller abgeräumt und wurde von ihrer Mama sehr gelobt und ganz dolle gedrückt, weil sie so fleißig war.

Und Liesel? Sie lag in ihrem Bettchen, dachte an den tollen Tag und wusste sehr genau, dass sie ein fleißiges Wesplein war und dachte sich: ‚…morgen fliege ich wieder dorthin…‘ – und freute sich darauf – ‚…vielleicht gibt es ja wieder etwas Köstliches‘? Und wie sie so nachdachte, schlief sie erschöpft, aber glücklich ein und träumte selig. Und wer weiß? Ganz bestimmt auch vom leckeren Hackepeter und ihrem aufregenden Tag bei den Menschen.

Ob Biene Maja heute auch so fleißig war?

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