Liesel auf dem Weg zur Oma – eine kleine Weltreise von Dresden nach Pirna

[Grundidee von meiner Freundin Angela und ihren Enkeln – danke!]

Es war Samstag in der Früh und bei Liesel zu Hause war alles in heller Aufregung: heute fliegt die Familie zur Lieblings-Löckchen-Oma nach Pirna. Sie heißt deswegen so, weil sie auf ihrem Köpfchen ein kleines Löckchen hat.
Jedenfalls hat die Oma Geburtstag und weil Liesel ein liebes Enkelkind ist, hat sie ihre Oma auch nicht vergessen. Aber was kann sie der Oma bloß schenken? Sie überlegte: ‚Hm, etwas Süßes mag sie gar nicht‘. Das liegt wohl daran, dass ihre ganze Familie eher herzhaftes Essen bevorzugt. Liesel erinnert sich an den leckeren Hackepeter, den sie ja unlängst von Susanns und Renés Balkon mit nach Hause nehmen durfte. Das waren ja ziemlich viele Portionen. Sie muss gleich mal in der Vorratskammer nachsehen, ob da noch etwas übrig ist. Und tatsächlich – ein letztes Päckchen Hackepeter liegt noch da. ‚Das wäre doch toll für die Oma, das wird ihr gut schmecken, auch wenn es das letzte Päckchen ist‘, dachte sich Liesel und war guter Dinge und stolz auf sich, etwas für ihre Lieblings-Oma gefunden zu haben.

Liesel auf dem Weg zur Oma
Liesel auf dem Weg zur Oma

Als sie nun im Familienverband losfliegen wollten, ging es Liesels Mama plötzlich gar nicht gut, sie bekam Kopfweh. „Auweia, was hat sie denn bloß gegessen? Oder weht gar der Wind ungünstig?“ fragten sich alle. Die Mama überlegt und denkt nach, aber ihr will nicht einfallen, warum es ihr nicht gut geht. Klar, sie weiß ja selbst, dass sie gerne nascht und auch von einem Teller voller Köstlichkeiten zum nächsten Saft- oder auch Bierglas fliegt. Das war schon lecker. Da dämmerte es ihr – es war das Bier, es musste das Bier sein, weswegen es ihr so schwummerig im Kopf war. Jedenfalls konnte die Mama so nicht mitfliegen, sondern musste sich hinlegen und die Schlafmaske aufsetzen, denn die ganze Welt oder eben das ganze Nest drehte sich plötzlich um Mama Wespe. Da war klar, jemand musste auf sie aufpassen, so konnte man ja die Mama nicht alleine lassen. Die kleineren Geschwister mussten nun daheim bleiben, auch, weil die Liesel ja auf sich selbst achtgeben musste und mit sich zu tun hatte. Liesel musste nämlich heute zum ersten Mal in ihrem kleinen kurzen Wespen-Leben allein so weit wegfliegen. Sie kannte den Weg, sie war ihn schon oft mit ihrer Mama und den Geschwistern geflogen, aber allein? Kann sie das überhaupt schaffen? Aber die Oma nicht zu besuchen, brachte sie auch nicht über ihr kleines Wespen-Herz. Die Mama machte ihr Mut und gab ihr folgende Worte mit auf den Weg: „Hör‘ zu, meine Kleine, du fliegst jetzt zur Oma und richtest ihr liebe Grüße aus. Komm‘  nur recht bald wieder und du weißt ja: im Dunkeln können wir nicht fliegen“.

Liesel macht sich also auf den Weg zur Oma, mit dem kleinen Hackepeter-Päckchen unter ihrem Bäuchlein. In der Aufregung hat sie aber ganz vergessen, der Mama zu erzählen, dass sie das letzte Päckchen Hackepeter genommen hatte. ‚Oh je, was bin ich doch für ein Schussel`, dachte sich die kleine Wespe. ‚Was ist, wenn Mama oder die Kleinen jetzt Hunger haben und die Vorratskammer leer ist?‘ Sie konnte aber nicht mehr zurückkehren, es nützte nichts, das musste sein – und was sollte sie auch der Oma sonst schenken? So setzte sie ihre Reise fort, wenn auch mit schlechtem Gewissen. Der Flug strengte die kleine Wespe ganz schön an. Es ist ja auch ein weiter Weg von Dresden nach Pirna. Aber Zeus, der Göttervater, kam ihr zu Hilfe und pustete eine kleine Brise Wind an Liesels Popo und so war sie ganz fix bei der Oma angekommen. Auf ihrem Weg hat sie natürlich auch den einen oder anderen Tisch der Zweibeiner gesehen und der verlockende Duft von allerlei Köstlichkeiten umwehte ihre kleine Nase. Aber Liesel ließ sich nicht ablenken und blickte nach vorn – sie hatte eine Mission, nämlich die Oma zu besuchen, die bestimmt schon ganz ungeduldig auf ihre Familie wartet. ‚Warum ziehen die jungen Leute heutzutage überhaupt in die Großstadt? Hier ist es doch viel gemütlicher und ruhiger‘, hatte die Oma mal gesagt. Aber die Omama weiß natürlich auch, dass es in solch einer großen Stadt viel mehr zu essen gibt – und weil die Wespenfamilie jeden Tag ein sattes Bäuchlein haben muss, zog die Mama mit ihren Kleinen in die Großstadt. So eine alleinerziehende Wespen-Mama hat es nämlich nicht leicht.

Als Liesel nun endlich bei der Oma angekommen war, war die Freude groß und sie umarmten sich überaus herzlich. „Ach, mein liebes kleines Liesel, dass du mich nicht vergessen hast. Da freue ich mich ja sehr. Aber wo sind denn deine Mama und deine Geschwister?“ fragt die Oma. Liesel erzählt aufgeregt, was zu Hause passiert ist und dass es der Mama gar nicht gut geht. Die Oma beruhigt ihre kleine Liesel und sagt ihr, dass das ganz bestimmt ganz fix wieder gut wird. In diesem Moment fiel Liesel ein, dass sie ja noch ein Geschenk für die Oma hatte. Die Lieblings-Löckchen-Oma hat sich natürlich ganz doll gefreut und beide aßen gemeinsam das Hackepeter-Stückchen zur Mittagszeit. Liesel erzählte von zu Hause, von ihren Abenteuern und was ihre Geschwister manchmal so alles anstellen und dass sie – die Liesel – die Große sei und ein bisschen auf die Jüngeren aufpassen müsse, was ganz schön anstrengend sein kann. Die Mama muss ja arbeiten und ständig Futter heranschaffen. Aber die Oma erklärte ihr, dass sie ein bisschen Geduld mit ihren Geschwistern braucht und für sie ja sowieso das große Vorbild sei – und das ist wirklich toll. Da nickte Liesel zufrieden, denn das war ja auch schon was. Und wie sie so plauderten, vergaßen sie die Zeit. Nach einer Weile schaute Liesel aus dem Fensterlein von Omas Nest und sah, dass es allmählich dämmerte. ‚Oh je, es wird langsam dunkel‘. Liesel verabschiedete sich eilig von ihrer Oma, die ihr einen guten Heimflug wünschte und sagte: „Komm‘  mich bald wieder besuchen“. Liesel versprach es, gab der Oma einen Schmatzer und flog in Richtung Heimat.

‚Auweia, die Mama wird schimpfen, dass ich so spät nach Hause komme. Sie macht sich bestimmt schon Sorgen‘, dachte sich die kleine Wespe und flog geschwind los. Sie musste am Bahnhof in Pirna vorbeifliegen und sah einen Zug. Leider kann ja so eine kleine Wespe die Menschenschrift nicht lesen und so konnte sie nur vermuten, dass dieser Zug nach Dresden fuhr. Liesel schwebte einfach durch das angekippte Fenster, hielt sich an der Fensterscheibe fest und der Zug fuhr langsam los. ‚Puh, geschafft‘, freute sie sich – schon ein bisschen erschöpft vom schnellen Fliegen.

Unter den Fahrgästen war auch eine Menschen-Oma mit ihren beiden kleinen Enkelsöhnen. Die beiden entdeckten die Liesel und freuten sich sehr, denn sie ist schon eine kleine Berühmtheit geworden. Den beiden Jungs war klar, das konnte nur die Liesel sein und dass sie bei der Oma in Pirna waren und nun ganz bestimmt ganz erschöpft von ihrem Ausflug sei. Und das war auch so. Liesel war heilfroh, dass sie den Zug bekommen hatte und döste ein bisschen weg. Sie durfte nur nicht verschlafen. Am Bahnhof Neustadt wurde sie munter und streckte ihre Fühler in die Lüfte. Irgendwie klang die Durchsage des netten Fräuleins am Schalter danach, als müsste Liesel jetzt aussteigen; sie müsste nur das letzte Stückchen im Fluge zurücklegen. Glücklicherweise war es die richtige Haltestelle und so kam Liesel noch vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause an. Die Mama war sehr froh, dass ihre kleine Große heute ganz allein den weiten Weg zur Oma und wieder zurück geflogen und heil zu Hause angekommen ist. Die Mama wusste ja nichts von Liesels Fahrt als blinder Passagier. Liesels kleine Geschwister waren natürlich auch noch nicht im Bett, schließlich wollten sie wissen, was ihre große Schwester so erlebt hat und ob sie es überhaupt noch vor Einbruch der Nacht nach Hause schafft. Sie guckten ihre Liesel ganz verträumt an – und sie erzählte natürlich alles und wie es der Oma so ergangen ist und gestand, dass sie das letzte Stückchen Hackepeter als Geschenk für die Oma mitgenommen hatte. Dabei blickte sie ganz beschämt nach unten und ihre langen Fühler guckten gar nicht mehr keck in die Luft, sondern berührten den Boden. Aber Mama Wespe war ihr nicht böse, sondern nahm ihr Kind in den Arm. Liesel brauchte ja schließlich ein Geschenk und überhaupt war sie sehr stolz auf ihre kleine Tochter. „Jetzt gehen wir ohnehin ins Bett und morgen ist ja auch noch ein Tag und die Tische der Menschlein werden wieder reichlich gedeckt sein“, sagte die Mama, der es übrigens wieder sehr gut geht. Da fällt bestimmt auch etwas für Liesel und ihre Familie ab.

So konnte die kleine Wespe zufrieden ins Bettchen gehen und sie wusste, dass es morgen wieder einen aufregenden Tag geben wird und die Vorratskammer wieder gefüllt werden muss.

‚Aber jetzt, jetzt muss ich mich erst einmal erholen‘, dachte Liesel und schlief ein.

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