Auf der Polizeidienststelle…
Als Amanda zu Hause ankommt, schläft ihre kleine hübsche Familie bereits selig und zufrieden – nichts ahnend von den aufregenden vergangenen Stunden, die ihre Frau Mama mitgemacht hat – und nichts ahnend, dass nun eine kleine Katze in ihr Zuhause einziehen wird. Es ist freilich noch nicht klar, wie lange die Miez bleiben wird, aber das wird sich im Laufe der Geschichte finden.
Nun kann sich also auch Amanda in ihr Bett kuscheln und weil die Miez es offenbar nicht gewohnt ist, allein zu nächtigen, liegt diese bereits im Bett und schläft sogleich schnurrend ein. Der Gatte indes weiß noch nichts von einem dritten Lebewesen im Ehebett.
Amanda findet natürlich keinen Schlaf. Ihre Gedanken drehen sich noch immer um ihre vermisste Freundin Sabine. Auch wundert sie sich über sich selbst und ihr Erstaunen, dass sie Sabine eine so gänzlich andere Wohnung zugetraut hätte. Diese Wohnung von heute Abend schien so, als wäre es gar nicht Sabines Wohnung. Über ihre Gedanken hinweg nimmt sie kurze Zeit später aber der Gott der Träume – Morpheus – mit in sein Reich und Amanda schläft ruhig ein.
Am nächsten Morgen – Amanda liegt noch im Bett und versucht, die letzten Abendstunden in ihrem Kopf zu sortieren – ist ihre quirlige Familie samt der Miez bereits auf den Beinen. „Mama, wir haben eine Katze! Eine Katze!! HuhuuuuI!!“ freuen sich die Kinder und springen um die kleine Miez, die wiederum die Welt nicht versteht. Kann man auch nicht – als Katze… Katzen lieben es ja eher ruhig und bedächtig. Aber das wird sie bei diesem herrlich kunterbunten Haufen vergebens suchen.
Ihr Gatte liest interessiert die Tageszeitung, als Amanda zur Tür hereinkommt. „Was ist denn eigentlich passiert?“, fragt er und schaut dabei auf den vierbeinigen Neuzugang.
„Ach, fraaage bloß nicht…“, winkt sie ab, „ich mag mir gar nicht ausmalen, was mit Sabine passiert sein könnte. Die Polizei war da und wir sind in Sabines Wohnung…“ – Amanda erzählt ihrem Mann von dem gestrigen Abend, dem Polizeieinsatz und der eingesperrten Miez und…
„Oh, ich muss dann auf die Polizeidienststelle wegen der Vermisstenanzeige!“ fällt Amanda plötzlich ein und stellt ihren Kaffee, den sie sich gerade eingeschenkt hat, zur Seite.
„Das wird doch sicher Zeit haben, bis du etwas gefrühstückt hast“ spricht ihr Mann und Amanda erwidert: „Heute ist Samstag. Wer weiß, wie lange die da sind…?!“.
„Die Polizei ist immer da, Schatz! Die müssen immer da sein. Es wird schon jemand deine Anzeige aufnehmen.“
„Ich frage mich wirklich, was passiert ist. Weißt du, wenn die Miez nur reden könnte. Sie weiß bestimmt, was los gewesen ist.“. Verzweifelt schaut Amanda auf ihre – ihre? – Katze herunter. Geht es denn so schnell, dass man solch ein Tier ins Herz schließt? Eindeutig ja…
„Tja, ich will ja nicht unken, aber ich denke, Haustiere überleben alles, weil sie eben nicht reden können…“ antwortet ihr Gatte mit wichtigem Blick, „ganz gleich, was vielleicht Schlimmes in der Wohnung passiert ist.“
Amandas Gesichtsfarbe wechselt augenblicklich zu kreidebleich. „Was redest du denn da? Gestern wollte sie noch…“ – sie unterbricht, schaut zu ihren Kindern hinüber und flüstert – „S-E-X und heute ist sie – was? Mausetot? Geht’s noch??“
„Schatz, sie wäre nicht die erste und wahrscheinlich auch nicht die letzte, der das passieren würde“.
Amandas Gesichtsfarbe wechselt sich wie man es sonst nur von einem Chamäleon kennt – sie wird nämlich puterrot… „Du bist manchmal wirklich…“ – sie schüttelt mit dem Kopf und verlässt das Wohnzimmer, um sich im Badezimmer zu rekultivieren und schließlich anzukleiden.
„Ich mache jetzt los! Ihr kommt zurecht?“ Mit abwechselndem Blick schenkt sie ihren Kindern und ihrem Mann kurz Aufmerksamkeit und setzt fort: „Und bitte nicht die Miez drangsalieren!“ – und nach einem kurzen Moment des Innehaltens beendet sie mit „Gewöhnt euch bitte nicht zu sehr an die Katze. Sie gehört uns nicht, sondern Sabine“ ihre Ausführung. Amanda stehen plötzlich die Tränen in den Augen. Warum aber eigentlich? Wegen ihrer verschollenen Freundin oder wegen der Miez, die sie gewiss wieder abgeben muss?
Auf der Dienststelle angekommen, trägt Amanda ihr Anliegen vor. Der zuständige Beamte nimmt sie mit in seine Amtsstube und die ganze Angelegenheit wird aufgenommen.
„Tja, mal sehen. Vielleicht finden wir sie ja oder jemand anderes“, sagt der Polizist seufzend zu Amanda, während er ihr das Schreiben aushändigt.
„Was meinen Sie, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie unversehrt wieder auftaucht?“ fragt sie den Beamten etwas zögerlich und weiß in diesem Moment nicht, ob sie die Antwort überhaupt hören möchte. Der Polizist indes kennt sich aus und antwortet daher: „Nun, ich kann Ihnen nichts versprechen, und natürlich tun wir alles, was möglich ist, um Ihre Freundin zu finden.“ Nach einer kurzen Unterbrechung fragt er sie: „Was denken Sie denn? Glauben Sie, dass Ihre Freundin überhaupt gefunden werden möchte?“
Etwas schockiert schaut Amanda den Polizisten an, der fortsetzt: „Nun – wir suchen natürlich zunächst nach einer lebenden Person. Ist klar. Wenn unsere Möglichkeiten aber erschöpft sind, werden wir die Medien einschalten. Irgendwann stellt sich nämlich auch für uns die Frage, ob wir noch nach einer lebenden oder bereits verstorbenen Person suchen.“ Er unterbricht das deprimierende Schweigen im Raum: „Aber es gibt immer wieder Fälle von Menschen, die ihr Leben hinter sich lassen wollen, irgendwo neu beginnen, ohne, dass sie irgendjemanden Bescheid geben. Als hätte es diese Person nie gegeben, wissen Sie?! Ich weiß es natürlich nicht, aber das sollten Sie in Erwägung ziehen!“.
Amanda verschlägt es die Sprache. Donnerwetter! Es wird ja immer verrückter! Das wäre echt ein Ding! Ein ganz schlimmes sogar! „Aber warum sollte sie ihre Katze einsperren?“ fragt sie den Polizeibeamten mit tausenden Fragezeichen im Gesicht. Amanda kann das alles nicht verstehen. Es wäre auch nicht zu verstehen. Die arme kleine Katze kann nun wirklich nichts dafür, aber: „Wenn ich das alles richtig verstanden habe“, so antwortet er, „könnte ich mir vorstellen, dass die Tür der Besenkammer zunächst offen stand, aber durch einen Luftzug zuschlug mit einer vielleicht überaus neugierigen Katze drin“.
„Was? Ohne Futter und Wasser?“ Amanda schüttelt ungläubig ihren Kopf. „Das glaube ich nicht!“
„Möglicherweise haben Sie in der Aufregung die leeren Näpfe nicht gesehen. Das kommt vor. Diese Situation erleben Sie ja nun Gott sei Dank auch nicht alle Tage…“.
Amanda kann dem nicht wirklich etwas entgegensetzen und holt tief Luft: „Nehmen wir an, das war alles so. Wie hätten wir aber beizeiten auf die verschwundene Sabine und somit ihre Katze kommen sollen? Die wäre doch verhungert?“
Der Beamte schmunzelt: „Nun denken Sie doch mal an die überaus idyllische Wohngegend, von der Sie mir erzählt haben. In der bleibt doch nichts lange unbemerkt und schon gar kein Verschwinden. Das wäre früher oder später – naja, eher früher als später- aufgefallen“. Er legt ruhig seine Hand auf ihre zitternden Hände, die auf dem Schreibtisch liegen. „Nun, wissen Sie, Menschen agieren und reagieren ganz unterschiedlich und oft genug können das die Mitmenschen gar nicht nachvollziehen. Aber es ist, wie es ist. Das ist die Realität.“ Er steht auf und sagt zu Amanda: „Fahren Sie nach Hause. Vielleicht meldet sie sich und das alles klärt sich auf. Das wäre das Schönste. Für Sie, für ihre Familie, für alle. Bis dahin bleiben wir natürlich nicht untätig. Aber denken Sie daran: vielleicht möchte sie nicht gefunden werden – warum auch immer“ – und setzt nach einer kurzen Pause mit einem bedeutungsschwangeren Blick fort: „Glauben Sie mir, ich bin nicht scharf darauf, einen Todesfall zu untersuchen!“.
Mit einem tiefen Seufzer, der ein hohes Maß an Ich-kann-und-will-das-nicht-glauben vermuten lässt, steht Amanda vom Schreibtisch auf. Kurz bevor sie das Zimmer verlassen möchte, hat der Beamte doch noch eine Frage und runzelt dabei ein bisschen seine Stirn: „Sagen Sie – hat Ihre Freundin vielleicht jemanden kennengelernt? Im Internet oder so?“
„Sabine? Internet?? Neee…!! Sie wird ja wohl im echten Leben einen Mann kennenlernen?! Sie ist attraktiv, hübsch und ein toller Typ“ entgegnet sie dem Polizeibeamten, der mit einem milden Lächeln antwortet: „Ach, gute Frau, das hat damit nichts zu tun… Die haben es manchmal am schwersten.“
Amanda geht in sich: vielleicht hat er ja recht, der Beamte. Schon die Wohnung war so, als gehörte sie gar nicht zur Sabine. Dass sie eine Katze hat, wusste Amanda auch nicht. Da kann die Geschichte mit einem Online-Dating auch möglich sein. Sie hat ja ohnehin das Gefühl, Sabine nicht richtig zu kennen…
Traurig und ratlos verabschiedet sich Amanda von dem Polizeibeamten. ‚Abgetaucht, untergetaucht… das kann ich mir nicht vorstellen oder will ich mir nicht vorstellen…?‘ – noch verwirrter als sie ohnehin schon war, fährt Amanda nach Hause. ‚Eine Straftat? Hätte jemand Sabine in ihrer Wohnung umbringen und in einem Sack rausschleppen sollen – wie so ein Zentner Zement? Im Sommer? Das wäre doch wirklich aufgefallen!‘ Amanda beruhigt sich allmählich – und dennoch stellt sie die eine ewig bohrende Frage ans Universum: ‚Sabine… wo bist du?‘, aber diese kann leider nur ihre verschwundene Freundin oder ein möglicher Täter beantworten.