Auch eine Wespe muss mal ins Krankenhaus

Schon am Vorabend überlegte die Familie der kleinen Wespe Liesel, wo sie denn am nächsten Morgen hinfliegen könnten. Da fiel Leo, dem kleinen Bruder, ein, dass es ein bisschen weiter weg ein neues und lecker duftendes Blumenfeld gibt. Das hat er nämlich bei seinem letzten Erkundungsflug entdeckt.

„Au ja, fein, das machen wir“, freuten sich die anderen, „das bringt bestimmt Abwechslung auf unsere Teller“.

Als der nächste Tag anbrach, machten sich unsere drei Helden auf den Weg oder besser auf den Flug. Ein neues Gebiet zu erkunden, ist auch für sie nichts Alltägliches, und da müssen sie schon ganz schön aufpassen und auf sich und die anderen achtgeben.

Es dauerte aber nicht lange und sie hatten das Feld erreicht. Die Blumen standen in voller Blütenpracht und Liesel, Lotti und Leo wussten gar nicht, wo sie anfangen sollten. So viel Blütenstaub, den sie mitnehmen könnten, wenn sie es nur schaffen würden, alles wegzuschleppen. Ihre Äugelein wurden immer größer.

Sie machten sich also ans Werk und sammelten Blütenstaub. Sie flogen von einer Blüte zur nächsten, schnupperten, ob es ihnen überhaupt schmecken würde – denn heute haben sie die große Auswahl – und dann ließen sie sich nieder und sammelten kräftig ein. Ab und zu naschten sie auch an der einen oder anderen Blüte, denn der Weg war weit und die Bäuchlein leer. Und so aßen sie und sammelten abwechselnd – bis, ja bis… Lotti auf einmal „Oijoijoij“ sagte, „das ist aber ganz schön viel geworden. Und mein Bauch ist auch ganz schön voll. Ich glaube, ich habe zu viel gefuttert. Mir wird schlecht – puh.“. Na klar. Lotti hat sich den Bauch vollgeschlagen und war nun zu träge und zu schwer, um wieder nach Hause fliegen zu können. Ihrem Bruder ging es nicht viel anders. ‚Wenn es doch so viel leckeren Blütenstaub gibt, den kann man doch nicht einfach so auf den Blüten liegen lassen‘, rechtfertigte sich Lotti, und setzte sich geschafft mit ihrem dicken Bäuchlein auf eine viel zu kleine Blüte – und dann kam es, wie es kommen musste. Lotti verlor den Halt und segelte samt ihrem Blütenstaub, den sie nun überall an sich trug, herunter.

„Lotti?“, fragte Liesel, die das alles mit angesehen hatte, besorgt ihre Schwester. Die machte aber keinen Mucks. Lotti ist auf ihren Kopf gefallen und lag nun da. Regungslos.

„Leo?“ – Lotti rief ihren Bruder, der allerdings auch keine große Hilfe war, denn sein Bäuchlein war genauso voll wie das von der Lotti. Also musste sich unsere Liesel selber helfen, um ihrer Schwester Lotti zu helfen.

Glücklicherweise kamen gerade andere Wespen, ganz bestimmt waren es Freundinnen, vorbeigeflogen, sahen, was passiert ist und kamen auf den Boden geflogen. Liesel war ganz verzweifelt und wusste nicht, was sie tun sollte. Hier konnten sie jedenfalls nicht bleiben. Aber wer weiß schon, ob Lotti von allein zu sich kommt oder ob sie doch eine Ambulanz und einen Doktor braucht? Sie wusste nicht, wo ihr der Kopf stand. Obendrein jammerte Leo und hielt sich seinen vollen Bauch. Manchmal musste er auch seine Beinchen anziehen, wegen der Kneiperchen. „Ich esse nie wieder etwas“, sagte er und rollte sich am Boden.

Liesel hatte für ihren Bruder keine Zeit. Und auch keine Nerven. Immerhin war er ja bei Bewusstsein und lag nicht, wie Lotti, im Gras, mit ganz verleierten Äugelein.

Die anderen, fremden Wespen wussten aber, was zu tun ist. Sie sägten mit ihren Zähnchen ein großes Blatt von einer Blume ab und rollten Lotti darauf. „Was habt ihr vor?“, fragte Liesel ein bisschen ängstlich.

„Wir müssen sie in eine Ambulanz oder ein Krankenhaus bringen. Dort wird man herausfinden, was ihr fehlt“, sagte die eine, sehr nette Wespe.

‚Sie ist bestimmt eine Wespen-Mama und weiß, was sie macht‘, tröstete sich Liesel.

„Das wird alles wieder gut werden, kleine Wespe“, sagte die andere, genauso nette Wespe. „Du könntest uns aber beim Transport deiner Schwester helfen. Denkst du, dass du das schaffst?“.

„Na klar“, sagte sie – und da fiel Liesel ihr Bruder Leo ein. „Was machen wir mit ihm? Er wird uns keine Hilfe sein.“. Mit einem Nicken bestätigten die beiden, dass das wohl nichts wird und sagten: „Lass ihn hier. Du merkst dir die Gegend und bittest deinen Bruder, dass er sich nicht von der Stelle rührt, bis du ihn abholst“. Das machte unsere Liesel auch – und Leo antwortete: „Ich kann sowieso nicht weg. Guck mal, wie ich aussehe. Ganz fett bin ich geworden. Ich bleibe hier, bis du wiederkommst. Wann kommst du?“.

„Das weiß ich nicht. Wir müssen Lotti in eine Ambulanz bringen und danach komme ich dich holen. Einverstanden?“.

„Ja, einverstanden. Ich bleibe hier und verstecke mich im hohen Gras“.

Zufrieden mit ihrem Plan nahm die eine Wespe das vordere Stück vom Blatt und die andere mit der Liesel die hintere Seite. Und dann starteten sie. Liesel guckte auf Lotti und fragte die Wespe neben sich: „Wo gibt es hier eine Ambulanz?“.

„Das ist gar nicht weit. Ihr kennt euch hier nicht aus, stimmt`s“, sprach die eine und lächelte Liesel zu. „Es wird alles gut, du wirst sehen. Im Krankenhaus können sie deiner Schwester helfen. Sei nicht traurig.“, fügte sie aufmunternd hinzu. Liesel beruhigte der Gedanke, dass Lotti bald in die richtigen Hände kommen und hoffentlich bald wieder aufwachen würde.

„Soooo, da wären wir“, sagte die vordere Wespe.

„So sieht also ein Krankenhaus aus? Ich war noch nie da drin.“, sprach Liesel und staunte – und alle drei setzten Lotti vorsichtig ab. Da kamen auch schon ein paar Wespen-Krankenschwestern mit einem kleinen Häubchen auf dem Kopf und einem weißen kleinen Kittelchen mit einer Trage angesaust. Donnerwetter. Wie flink die waren. Liesel hatte noch nie Artgenossen mit einem Kittelchen und weißen Häubchen gesehen. Aber sie fand das total schick.

Eine Wespen-Krankenschwester fragte Liesel, was denn überhaupt passiert sei und Liesel erzählte alles. „Wir gucken uns deine Schwester an und du bleibst solange hier sitzen“, sagte die Krankenschwester freundlich zur Liesel. „Du brauchst auch keine Angst haben, ich komme dann gleich wieder und erzähle ich dir, was mit deiner kleinen Schwester los ist, okay?!“. Liesel war beruhigt und setzte sich – und war ganz schön erschöpft. Aber auch aufgeregt, denn sie war ja noch nie in einem Krankenhaus. Deswegen war sie gar nicht böse auf Lotti und Leo. Eigentlich sollten sie ja Blütenstaub einsammeln und nun sitzen sie und ihre Schwester im Krankenhaus – oder liegen. Das war so nicht geplant.

Liesel kam gar nicht richtig zum Nachdenken, denn in der Ambulanz war mächtig was los. Wie die Bienchen sausten die Wespen-Krankenschwestern umher und kümmerten sich um ihre kleinen und großen Wespen-Patienten. Sie hatten alle Beinchen und Fühler und Flügel voll zu tun – und da kam schon der nächste Patient eingeflogen. ‚Hier ist ganz schön was los‘, sagte sich unsere Liesel und fand das klasse. ‚Wenn ich groß bin, möchte ich das auch machen‘, dachte sie sich und war richtig begeistert von ihren Artgenossen und wie fürsorglich und liebevoll sie mit ihren Kranken umgehen.

‚Schwester Liesel klingt doch toll‘, dachte sie sich selbst und schmunzelte ein bisschen.

Da kam auch schon die nette Krankenschwester zurück – und in ihrem Ärmchen war die Lotti. Mit eingewickeltem Köpfchen. Sie konnte aber noch gucken und auch essen. Aber vom Essen hatte sie ja nun genug.

„Lotti, das ist aber schön! Ich freue mich, dass du wieder aufgestanden bist. Geht es dir ein bisschen besser?“, fragt Liesel und nahm ihre Schwester entgegen. Die Krankenschwester sagte, dass Lotti sich nur den Kopf gestoßen hätte und noch ein bisschen Ruhe bräuchte. Sie könnten aber langsam nach Hause fliegen und morgen würde schon alles wieder gut sein.

Liesel bedankte sich bei der Krankenschwester und sagte ihr, dass sie es toll findet, was sie hier machen. Die Krankenschwester lächelte Liesel an und sagte ihr, dass sie dafür da sind. Zum Abschied wünschte sie beiden einen guten Heimflug.

Liesel und Lotti flogen auch direkt nach Hause – Leo hatten sie nicht vergessen -, aber Lotti musste ja ruhen, sagte die Krankenschwester und was die Krankenschwester sagt, muss auch gemacht werden.

Zu Hause angekommen, konnte Liesel ihrer Mama nicht erzählen, was passiert ist, denn sie musste noch mal losfliegen, um Leo zu holen, den sie auch wohlbehalten im hohen Gras fand. Er schlief. Vor lauter dickem Bäuchlein ist er einfach eingeschlafen. Das war auch gut so, denn jetzt konnte er wenigstens wieder fliegen.

Als dann alle wieder zu Hause waren – und auch ein bisschen Blütenstaub mitbrachten – erzählte Liesel, was passierte und dass sie in einem Krankenhaus gewesen waren und sie das alles dort toll fand. Nebenbei aßen sie vom Blütenstaub.

Leo hingegen mochte nichts mehr essen, sein Bäuchlein war immer noch voll, und Lotti lag in ihrem Nestlein und war sowieso knülle vom Tag.

Aber morgen werden die Bäuchlein wieder leer sein und darauf warten, wieder gefüllt zu werden.

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