[Nach einer Grundidee von meiner Freundin Claudia – danke!]
Leo und Emil kamen nach ihrem Ausflug zur Futtersuche wieder im Nest an. Sie landeten wie üblich am Eingang und… nichts war wie sonst auch. Das erkannte Liesel gleich. Die beiden sahen ziemlich mitgenommen aus. Liesels und Leos Mama kam auch gleich aus ihrem Nestlein. „Was ist passiert?“, fragte sie erschrocken. „Kommt rein und setzt euch!“ „Ach Mama“, fing Leo an, „wir haben die Zweibeiner nicht gesehen…“.
„Ohhh weh“, antwortete die Mama und ihr war klar, was passiert war.
„Erzählt in Ruhe, was los war.“ Beide Jungs wollten erzählen und redeten durcheinander. „Eiiiner nach dem anderen! Sonst verstehe ich ja gar nichts!“.
„Also“, begann Leo und holte tief Luft. „Wir hatten auf einem Tischlein gar viele Leckereien entdeckt und wollten uns nur ein bisschen was holen. Nicht viel.“ „Ja, das interessiert bloß keine Zweibeiner“, hängte sich Emil rein.
„Naja, jedenfalls hatten sie Emil erwischt. Die fuchteln und kreischen aber auch herum…“, setzte Leo seinen Satz fort und schüttelte mit seinem Köpfchen.
Liesel guckte Emil ganz mitleidig an. „Und wie ging es weiter?“, fragte nun auch Lotti, die das alles am Rande ein bisschen mitbekommen hatte und dazukam.
„Ja, was ist dann passiert?, wollten nun alle wissen. Aus der Nachbarschaft hatten sich nun noch ein paar hinzugesellt und lauschten ganz aufmerksam.
Leo erzählte weiter: „Sie hatten Emil einen ordentlichen Schwinderling verpasst, sodass er auf den Tisch fiel“. Leo streichelte Emils Ärmchen. Und dieser zeigte auf seine schon wieder abgeknickten Fühler. Die hatte seine Mama gestern erst wieder geradegebogen. „Lach nicht“, sagte er etwas wütend zur Liesel, als er bemerkte, dass sich ihr Gesichtchen zum Grinsen verzog. Liesel wollte auch wirklich nicht lachen und drehte sich weg. Aber ganz verkneifen konnte sie es sich nicht.
Leo guckte ein bisschen verständnislos auf seine große Schwester und setzte dann fort: „Ich dachte, jetzt war es das für Emil. Die machen ihn platt.“ Nun konnte auch Liesel nicht mehr grinsen, ihr standen die Tränchen in den Äugelein und Lotti hielt sich vor Entsetzen das Mündchen zu. Und die Mama holte tief Luft.
„Und wo warst du, Leo?“, fragte seine Mama.
„Ich wusste erst auch nicht und wollte eigentlich gar nicht hingucken, aber dann habe ich das gemacht, was wir nur in der größten Not machen sollen. Ich habe das Menschlein gestochen!“.
„Und? Tat das weh?“ fragte Lotti interessiert.
„Ich weiß nicht. Ich habe irgendwie gar nichts gefühlt. Ich habe nur Emil gesehen und dass sie ihn totmachen wollten“, antwortete Leo. „Naja, da musste ich doch helfen! Aber dem Jungen hat das sehr wehgetan. Der schrie augenblicklich los!“ „Selbst schuld“, sagte Emil bestimmt und seine Fühler schwangen mit ihren Knicksen in sämtlichen Richtungen.
„Das war vollkommen in Ordnung!“, erklärte nun die Mama. „Seht, wenn die Menschen nicht nach uns schlagen würden, müssten wir uns nicht verteidigen. Die Menschen würden das nicht anders machen. Und das wäre auch in Ordnung. Jeder hat nur ein Leben! Egal ob Mensch oder Tier“.
„Das verstehe ich“, sagte Leo und die anderen Kinder nickten.
„Aber die Menschen kapieren das leider nicht…“, erwiderte Emil und guckte traurig auf den Boden des Nestleins.
„Aber vielleicht doch? Vielleicht hat der kleine Junge, den ich gepiekst habe, verstanden, warum ich es tun musste.“, bemerkte Leo.
„Keine Ahnung“, antwortete schulterzuckend die Mama, „aber er hat gewiss auch eine Mama und sie ist bestimmt schlau und kann es ihm erklären“ – und lächelte ein bisschen.
„Aber trotzdem verstehe ich nicht, warum die was gegen uns haben? Sie fuchteln, weil sie Angst haben, dass wir zupieksen? Aber dann pieksen wir doch erst recht?! Häää?? Da soll einer die Menschen verstehen“.
„Tja“, seufzte die Mama bestätigend und auch etwas verständnislos.
„Wisst ihr, was dann dort bei den Menschen weiter passiert ist?“, fragte Liesel.
„Naja, zum Glück konnte sich Emil rasch befreien und wir konnten wegfliegen. Zumindest auf den nächsten Baumast. Wir mussten uns ja erstmal erholen. Ich glaube, die Menschen-Mama hat dann etwas auf den Pieks gemacht, damit das nicht mehr wehtut“.
„Aber so, wie der Junge gebrüllt hat, vergisst der das nie“, musste Emil ergänzen.
„Die Mama hat auch mit dem Jungen geredet. Aber was? Keine Ahnung!“, sagte Leo.
„Hoffentlich, dass man uns in Ruhe lassen sollte“, sagte die Mama und Emil setzte fort: „Oder sie stellen uns einfach ein Tellerchen mit ein klein bisschen Leckerei an die Seite. Das kapieren auch die anderen Wesplein rasch“, sagte er ganz sicher.
Als sich alles wieder etwas beruhigt hatte und die anderen Zuhörer wieder heimgegangen waren, fragte Emil Leos Mama, ob er nicht heute ausnahmsweise bei Leo bleiben darf. Er möchte heute nicht allein in seinem Nestlein schlafen.
„Meinetwegen“, sagte die Mama, „aber sprich zuvor mit deiner Mama“.
Emil ging rüber zu sich und erzählte natürlich auch von seinem Ausflug und was passiert war. Emils Mama war entsetzt, sie hat nur dieses eine Kind und lebt mit ihm auch allein.
Als Emil fragte, ob er bei Leo schlafen könnte, sagte seine Mama zu. ‚Vielleicht kann ich ja auch ein bisschen mit der anderen Mama reden‘, dachte sie sich, ‚da bin ich auch nicht allein’ und ging mit rüber.
Als Leos Mama das Türchen öffnete, freute sie sich über den Besuch von Emils Mama und die beiden Jungs, dass sie heute Nacht nicht allein schlafen mussten. Denn beinahe hätten sie sich nicht mehr gehabt.
„Ich bin sehr froh und glücklich, dass ich dich zum Freund habe“, sagte Emil. „Dankeschön, dass du mich heute gerettet hast!“ „Ich hätte dich doch nicht allein gelassen. Du bist mein Kumpel!“, er grinste. „Und außerdem: Was hätte ich denn deiner Mama erzählen sollen? Dass ich furchtbar feige war und sie nun deswegen keinen Emil mehr hat?“ Emil strahlte Leo an. So einen tapferen Freund hatte er noch nie. Und hoffentlich wird sich das niemals ändern.
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