„Wie? Was? Zur Schule?“, Leo versteht die Welt nicht mehr. „Wieso soll ich zur Schule gehen? Ich weiß doch schon alles, was ich wissen muss!“ „Neeein, das glaube ich nicht!“, wirft Liesel ein. „Und außerdem musst du ‚in‘ die Schule gehen, damit du etwas lernst, nicht nur ‚zur‘ Schule gehen“. Liesel ist ja sehr klug und kennt die kleinen Unterschiede. „Naja, dann eben in die Schule…“. Leo ist ein bisschen genervt und rollt mit seinen Äugelein.
Für seine Schwester Lotti beginnt nun auch eine neue Zeit und freudestrahlend meint sie: „Also ich freue mich darauf. Und auch die anderen Kinder aus der Nachbarschaft kommen in die Schule. Der Emil zum Beispiel. Das wird doch toll.“ Lotti zwinkert Leo zu und freut sich schon auf das neue Abenteuer in ihrem kleinen Wespen-Leben, aber dann wird sie ganz still und ein bisschen nachdenklich. Das bemerkt auch Leo, aber noch bevor er fragen kann, was denn los sei, kommt die Mama hinzu. Sie möchte ohnehin ein bisschen bei ihren Jüngsten aufräumen und so erklärt sie wohlwissend ihrem kleinen Jungen: „An meiner Schule stand einst der Spruch: Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir.“ Die Mama klingt sehr weise, aber verstehen kann man das als kleines Wespen-Kind natürlich nicht.
„Na das ist ja großer Quatsch! Wenn ich in die Schule gehe“ – dabei betont Leo das ‚in‘ besonders und schielt zur Liesel hinüber, die wiederum ein bisschen schmunzelt. „Also, wenn ich dorthin gehe, mache ich das für dich, Mama!“ Leo setzt sich bockig auf sein Bett. „Pah, für mich… so ein Unsinn…“. Seine Mama überhört seinen Einwand, räumt weiter auf und lächelt mild. Manchmal darf man auch als Mama nicht so genau hinhören.
Kurze Zeit später sitzt die Familie Wespe in ihrer kleinen Küche und Leo fragt: „Liesel, warum gehst du eigentlich in die Schule? Hat dir das was gebracht? Ich meine, wir wissen doch alles, was wir brauchen. Der andere Schnullipups ist doch unwichtig. Hauptsache, ich bin ein guter Kerl.“ Leo sitzt fragend vor seiner großen Schwester, die ja hoffentlich eine Antwort auf seine weltbewegenden Fragen hat. „Leo, schau, du gehst in die Schule, damit du noch mehr lernst als das, was du für zu Hause brauchst. Ein guter Kerl bist du auch so, und das möchte auch so sein. Aber willst du ungebildet bleiben? Es muss doch etwas Gescheites aus dir werden?! Wenn du nicht rechnen, schreiben und lesen kannst, wird dich mancher übers Ohr hauen, der es nicht gut mit dir meint. Du musst immer auf andere vertrauen und nicht auf dich selbst. Das ist nicht gut!“ Eigentlich versteht Liesel diese ganze Fragerei nicht. „Ich muss jetzt meine Hausaufgaben machen!“ Liesel holt ihre Aufgaben aus ihrem Ränzchen und beginnt zu schreiben.
„Nee, natürlich will ich ja auch, dass ich noch gescheiter werde!“, antwortet nun Leo und lächelt ein bisschen als er sagt: „Naja, das sieht schon toll aus, wie du das so machst.“ Er guckt schon ein bisschen neugierig auf Liesels Blätter. „Ja, nicht wahr?!“ Liesel freut sich darüber, dass sie lesen, schreiben und rechnen kann. „So kann ich dir auch mal etwas schreiben und du kannst es lesen und mir antworten. Oder auch der Lara, unserem Cousinchen. Sie freut sich bestimmt über Post von dir.“ Liesel zwinkert Leo zu und er fühlt sich augenblicklich geschmeichelt. ‚Ja, wenn jeder lesen kann, was ich schreibe und damit sagen möchte, ist das voll cool.‘ Allmählich dämmert es in seinem Köpfchen.
Lotti kommt nun auch hinzu. Sie hat die Unterhaltung ein bisschen von draußen mitbekommen. Liesel setzt ihre Ausführungen fort: „Und außerdem lernst du, dich zu konzentrieren und zu disziplinieren, damit du länger bei der Sache bleibst und nicht immer so herumwuselst…“, da bemerkt Liesel ihre Schwester Lotti und sagt schließlich: „…oder ihr lernt es… ihr müsst stillsitzen und dem Lehrer zuhören. Ganz wichtig! Er möchte euch etwas beibringen, was für euer Leben wichtig ist. Und das kann man nur, wenn man zuhört und nicht immer alles besser weiß!“ Leo weiß genau, dass Liesel ihn damit meint. „Aber wenn ich es doch besser weiß?!“, Leos Versuch der Verteidigung geht im ernsthaften Blick der Liesel unter. Wenn sie schon ihre Äugelein nur noch bis zu einem kleinen Spalt offen hält… Sie meint es also ernst!
„Tante Leni hat mal gesagt, ich muss auch etwas lesen können, das viele Blätter hat, also mit einem laaaangen Text, und ich darf deswegen noch lange nicht vom Stühlchen kippen!“, erklärt Lotti. Leo muss bei der Vorstellung, dass seine Schwester vom Stuhl fällt, weil ihr das alles zu anstrengend ist, herzhaft lachen. „Stell‘ dir mal vor, du sitzt neben mir und fällst einfach um! Puff!!“. Dabei tut er so, als würde er von seinem Stühlchen rutschen. „Haha, sehr witzig!“, Lotti findet diese Vorstellung ganz und gar nicht lustig. „Hoffentlich lachst du mich dann nicht aus, sondern hilfst mir lieber!“ „Natürlich, natürlich…“, Leo setzt seine ernsthafte Miene auf und muss dann doch wieder schmunzeln. „Dir wird das Feixen schon vergehen!“. Lotti dreht sich empört um und geht in ihr Zimmerchen.
„Das habe ich doch gar nicht so gemeint“, sagt Leo zur Liesel, die sich nun wieder ihren Hausaufgaben widmet. „Sag‘ das nicht mir, sondern der Lotti. Ich muss mich jetzt konzentrieren, sonst mache ich Fehler und morgen bekomme ich eine schlechte Note. Und das wäre doof!“ „Hmmm, Noten gibt es auch noch… na das kann ja heiter werden…“ Leo geht zur Lotti und Liesel guckt ihm hinterher, seufzt und schreibt und rechnet weiter.
„Macht dir das keine Angst, Lotti? Alles neu? Und dann das Stillsitzen und Zuhören und Merken… mir schwirrt schon jetzt der Kopf“. Leo setzt sich zur Lotti auf deren Bettchen. „Nöö, das alles nicht. Aber was ist, wenn ich keine Freundin finde?“ Lotti guckt ein bisschen bekümmert. „Ach deswegen warst du vorhin plötzlich ganz still…“. Da nimmt Leo sie in seinen Arm und sagt ihr: „Mal sehen, wie das dann wird. Vielleicht sitzt du ja neben einem Mädchen und ihr findet euch gleich supertoll. Aber auch, wenn nicht, wirst du eben später eine Freundin finden. Du bist lieb, lustig und kannst gut zuhören. Das findet bestimmt ein Mädchen klasse. Mach‘ dir keine Sorgen, das wird schon!“ Aufmunternd zwinkert ihr Leo zu und Lotti bekommt das Gefühl, das Leo doch ein recht kluges Kerlchen ist. „Du hast bestimmt Recht. Das wird schon mit der Zeit.“ Leo lächelt Lotti an und sie legt ihr Köpfchen auf seine Schulter.
Nun ist er da, der große Tag, und die Aufregung ist mindestens genauso groß. Alles summt und wuselt umher und schnattert durcheinander. Aber mit einem Mal setzen alle ABC-Schützen zum Flug zur Schule an – und die Mamas und Papas hinterher. Den Schulweg sind sie alle schon oft abgeflogen und daher kennen sie sich aus, die Kleinen. Heute fliegen nochmal die Eltern mit, ab morgen fliegen sie allein, oder eben mit ihren Geschwistern oder neuen Schulfreunden.
Lottis Hoffnung auf eine Banknachbarin hat sich erfüllt – und beide verstehen sich auf Anhieb. Auch Leo darf neben seinem Kumpel Emil sitzen. Aber ob das so gut ist…?! Nicht, dass sie sich gegenseitig ablenken.
Da öffnet sich die Tür – und da kommt sie, die Lehrerin. Ein besonders schickes Exemplar, findet Leo und vergisst glatt alle Bedenken – und wenn er noch nicht für sich lernt, dann aber vielleicht auch für die nette junge Lehrerin und für seine Mama. Und irgendwann wird er verstehen, dass er nur für sich selbst in die Schule geht, damit aus ihm ein kleiner gebildeter junger Wespen-Mann wird. Außerdem kann man mit ein bisschen mehr Grips im Kopf die richtigen Mädels beeindrucken. Das hatte ihm seine Schwestern Liesel gesagt und sie muss es ja wissen.
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