Der Morgen einer Diva

[Gemeinschaftswerk von René und Susann]

Amy lebt nach Ritualen. Das heißt, sie streunt nachts gelegentlich durch ihr Revier, kratzt am Kratzbaum, um sich dann auch wieder – recht platzeinnehmend – in Susanns Bett zu platzieren. Die vierbeinige Mitbewohnerin ist die Chefin des Hauses und somit auch des Bettes – niemand anders und so sollte ihre Katzen-Mama, nämlich die Susann, sich doch bitte so hinlegen, dass Amy ausreichend Platz hat. Andernfalls macht sie sich Platz.

Morgens, so gegen 06:00 Uhr, plagt sie der Hunger. Jeden Tag, jeden Wochentag, jeden Feiertag – IMMER! „Hilfe – ich sterbe, seit uuuuneeeendlichen Zeiten habe ich nichts zu essen bekommen – Hilfeee!!!“ So klingen zumindest die klagenden Miauztöne, die Amy dann von sich gibt. Zunächst leise, dann aber auch lauter werdend, geradezu fordernd – in wechselnder Tonart. Sie hat ein breites Repertoire an Tönen und ich höre nur noch „Mimimimimi…“ – das ist der ultimative Bettelton.

Und jetzt kommt es darauf an – Ohren gespitzt: ‚Bewegt sich Susann etwa? Macht sie tatsächlich Anstalten, mir das selbstverständlich zustehende Futter zu reichen? Ja? Rührt sie sich? Ha! Sie dreht sich – juhuu – sie bewegt sich also!!!! Hmm, sie hat sich gedreht – und nun? Was hat das zu bedeuten?‘ Amy springt auf’s Bett, deutlich spürbar, und schaut gleich nach und kommt auf die andere Seite. Immer zur Gesichtsseite. Aber Susann steht nicht auf. Das – so denkt sich Amy – ist in Ordnung, es ist noch früh. So gibt sie Susann noch eine Chance – die so etwa 5 Minuten dauert… hööööchstens!

Amy streift erneut durch ihr Haus und putzt sich zunächst geräuchvoll. Einerseits, weil Diven stets sauber sein möchten, andererseits gibt sie somit der Susann gnädigerweise noch ein wenig Zeit. Immer mit gespitzten Ohren, denn es könnte ja losgehen… sie putzt sich sehr intensiv, mit der allseits bekannten Katzenwäsche hat das nichts mehr zu tun.

Nun aber hat ihre Geduld ein Ende: „Ich sterbe bald vor Hunger. Auf, auf, Susann!“. Sie bemerkt wieder ein Lebenszeichen ihrer Katzen-Mama und spitzt die Ohren: „Suuusaaaannnn, ich habe Kohldampf! Wenn ich nicht in 3 Sekunden etwas zu Essen bekomme, sterbe ich! Hörst du? Miau!!!!“
Das ist natürlich nicht so, liebe Kinder, aber Katzen meinen es so. Denn sie glauben, dass sie die Könige des Hauses sind und das Personal doch bitte schnell zu handeln habe – und wenn wir ehrlich sind, ist das ja auch so. Wir Menschen machen das, was die Miezekatzen von uns wollen. Und wir machen es ganz aus freien Stücken.

Amy legt sich morgens also neben Susann, schnurrt unüberhörbar und beäugt sie eindringlich. Eigentlich schaut sie durch Susann hindurch. Selbst mit geschlossenen Augen spürt man als Mensch ihren Blick. Und der bedeutet nur eins: Aufstehen, ansonsten schleckere ich deinen Arm ab oder komme mit meiner Pfote in dein Gesicht. Wahlweise legt sie sich auch mit dem Kopf ans Bettende und schwingt galant ihren buschigen Schwanz in Susanns Gesicht. Das muss ja wohl ausreichen… und das tut es auch.

‚Hurra, Ziel erreicht: Endlich, Susann steht auf!‘ Mit aufgerichtetem Schwanz saust sie in die Küche und bleibt vor der Schranktür mit dem Futter stehen. ‚Ich bin schlau, miau‘, weiß Amy, schließlich kennt sie sich aus. ‚Hoffentlich schmeckt das Futter wenigstens, ansonsten kannste das gleich alleine futtern‘. So geht das jeden Früh und jeden Abend. Ganz gewiss kann Frauchen sich bei der Futterauswahl nie sein.

Wenn diese jedoch der Amy genehm war und nachdem Susann sich der morgendlichen Rekultivierung unterzog: Schlüsselgerassel! Das hat nur eins zu bedeuten: Sie lässt mich allein… Mutterseelenallein… Natürlich kommt Susann nach der Arbeit oder ihrem sonstigen Ausgang zurück, aber das interessiert ja die Amy nicht. Dass der ganze Luxus der Miezekatze finanziert werden muss, ist der Amy vollkommen schnuppe. Entscheidend ist: sie wird zurückgelassen. So setzt sie ihr eher an einen treuen Hundeblick erinnerndes Gesichtchen auf. Aber beim letzten Griff an die Schranktür mit dem Futter dahinter, ist sie ganz gespannt und ganz bestimmt hat sie schon ein Pfützlein auf ihrer kleinen Katzenzunge, denn sie weiß genau: es gibt Leckerlis. „Immer her damit, miau!!“ Danach schließt sich die Wohnungstür.

Klick-Klack! Ein Schlüssel? Wer hat nochmal einen Schlüssel zu meiner Wohnung? Ach ja richtig: die Susann. Amy kommt mit hoch erhobenen Schwanz und dennoch beschwerdeführend ihrer Katzen-Mama entgegen und miaut, als ob sie sagen würde: Wo kommst‘n du jetzt her? Wird aber höchste Zeit!!

Aber natürlich bekommt Amy dann erst mal ein paar Streicheleinheiten. Sie reckt und streckt sich und schnurrt meist – mal laut und mal leise, bis, ja bis Amy genug vom Kraulen hat und mit einem Tatz ihrer Pranke der Kuschelei ein jähes Ende setzt, aufsteht und geht.

Ja, so ist sie, die Amy. Ganz oft zuckersüß, aber stets unberechenbar.

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