Die Suche nach Amalia geht weiter…
Im Polizeirevier…
„Sagen Sie mal, Nikita“, beginnt Herr Popow, „…wissen wir eigentlich schon, woran Leonhard Sobolew nun genau verstorben ist? Hat sich schon mal jemand aus der Pathologie dazu geäußert?“, fragt er seinen jungen Kollegen Nikita weiter.
„Also, die Befunde aus der Toxikologie stehen offenbar weiterhin aus“, antwortet dieser.
„Okaaayyyy…“ Herr Popow läuft nervös in seinem Büro auf und ab „Das dauert mir alles zu lange. Geben Sie mir mal die Nummer vom Labor; ich rufe dort selber mal an! Das muss doch mal vorwärts gehen!“. Etwas entrüstet tippt Herr Popow die Nummer des toxikologischen Labors ein und der Teilnehmer am anderen Ende nimmt seine Anfrage nach dem Ergebnis der Untersuchung an. „Herr Popow, wir haben vorhin die Ergebnisse an Ihre Behörde weitergeleitet. Ist denn gar nichts angekommen?“. Herr Popow dreht sich zum Faxgerät um, schaut in die Ablage – und … „Ohhhh! Tut mir sehr leid. Natürlich ist das Ergebnis da. `Tschuldigung und vielen Dank!“.
„Taaa!!!“ mit einem energischen Wisch seines Handrückens auf dem Faxbefund erklärt er seinem Kollegen: „Sie hatten Recht, Nikita! Herr Sobolew offenbar umgebracht worden. Mit Rattengift. Ganz allmählich. Scheibchenweise quasi.“
„Puhhh…“, Nikita holt tief Luft und fragt mit angewidertem Gesicht: „Schmeckt man das nicht?“
„Offenbar nicht“, antwortet Herr Popow. „Was sagte der Pathologe? Es könnte auch eine Lungenentzündung gewesen sein? Die Symptome sind ähnlich und dann kommt noch der körperliche Abbau hinzu. Naja, und irgendwann ist eben Feierabend…“
„Tja, und nun? Wie geht es jetzt weiter?“, fragt Nikita seinen älteren Chef.
„Junger Kollege, jetzt geht es um den Täter. Und wer kümmert sich darum?“, fragt er forschend seinen jungen Kollegen.
„Wir. Weil wir sind die Polizei…“ Mit vorgezogener Unterlippe und einem Kopfnicken bestätigt Herr Popow seine Aussage.
„Na dann, los geht’s. Wollen wir den Täter nicht warten lassen…“. Beschwingt nimmt Herr Popow seine Jacke. Mit fragendem Blick läuft ihm sein Kollege Nikita hinterher. „Was? Welcher Täter?“ – und schließt hinter sich die Bürotür.
„Naja, ob Täter weiß ich nicht, aber – na mal sehen…“, erwidert Herr Popow – mit einer beschwichtigenden Handbewegung läuft er zum Auto, neben ihm sein Kollege Nikita: „Ich möchte mal wissen, wo eigentlich seine Frau abgeblieben ist“.
„Wessen Frau??“, fragt Herr Popow verwundert.
„Amalia natürlich! An wen dachten Sie? Das Mädel kann doch nicht einfach wie vom Erdboden verschwunden sein?! Das gibt’s doch nicht!“. Mit seiner Handfläche klopft Nikita auf das Autodach, während er wartet, dass Herr Popow das Auto entriegelt.
„Vielleicht doch. Ich denke, sie könnte der Schlüssel für dieses ganze Drama sein. Wäre doch möglich… Oder sie weilt nicht mehr unter uns. Alles ist denkbar.“ Die beiden Herren steigen in ihr Auto und der Chef setzt fort: „So, und nun dürfen Sie raten, wen wir nochmals besuchen, Nikita“. Dieser zuckt nur mit den Schultern. „…Dimitri, natürlich!!“, erlöst ihn sein Chef. „Wir haben ihn zwar noch nicht richtig befragt, aaaaber…. Naja… Und wenn ich es mir recht überlege, ist er eigentlich mein oberster Verdächtiger. Jetzt. Zumindest könnte ich es mir vorstellen. Eigentlich ist er auch mein einziger Verdächtiger.“
„Aber es erklärt noch nicht, wo Amalia ist. Denken Sie wirklich, Dimitri hat seinen Bruder UND seine Schwägerin umgelegt?“, fragt Nikita und mag sich so viel Grausamkeit in der Familie gar nicht vorstellen.
„Gerade in Familien passieren die schlimmsten Dinge. Die meisten Verbrechen passieren unter Menschen, die sich kennen. Glauben Sie mir! Ich habe in meiner fast 40-jährigen Laufbahn schon so viel erlebt. Mir ist nichts mehr fremd. Leider. Theoretisch kann unter gewissen Umständen jeder zum Mörder oder wenigstens zum Totschläger werden! Mütter rächen ihre ermordeten Kinder. Oder auch aus Notwehr kann man jemanden umbringen. Alles schon dagewesen…“
„Naja, das ist aber noch mal was anderes, finde ich“, entgegnet Nikita. „Wenn man zuschaut, wie jemand umgebracht wird, da würde ich auch einschreiten und…“ Nikita schweigt. Er ist erschrocken über seine eigenen Gedanken und wozu er möglicherweise fähig wäre, wenn es nur die Situation erfordert. Etwas betreten schaut er seinen Chef an, der ihm erklärt: „Sie sehen es ja selbst: Keiner kann für sich oder andere die Hand ins Feuer legen…“
Etwas resigniert über mögliche menschliche Abgründe schweigt Nikita für den Rest der Fahrt bis sie an Dimitris Haus angekommen sind. „Nun ja, es ist ein hübsches Bürgerhaus“, befindet Herr Popow. „Nicht ganz so wie das, was wir bei seinem Bruder gesehen haben. Aaaaber wir wollen nicht vorverurteilen… “.
„Wie jetzt? Ist er nun unser Verdächtiger oder befragen wir ihn einfach nur?“, wollte Nikita wissen, bevor sie klingeln.
„Ohren spitzen und lernen! Das hat schon mein Chef zu mir gesagt und Recht hatte er. Lassen Sie mich die Fragen stellen! Sie nehmen Ihren Notizblock und notieren fleißig! Schließlich müssen wir ja ein Protokoll schreiben.“ Mit diesen Worten läutet Herr Popow an Dimitris Tür.
„Hmmm, keiner zu Hause…“, stellt Nikita fest und mit einer energischen Bewegung des Zeigefingers antwortet Herr Popow: „So, mein lieber Kollege, da fahren wir jetzt zum herrschaftlichen Anwesen. Mal sehen, was uns da erwartet – oder wer…“.
Am Anwesen der Sobolews angekommen, bemerken die beiden Kommissare, dass das Tor unverschlossen ist, so dass sie die Stufen zum Haus hinaufsteigen und durch die großen Fensterscheiben lugen.
„Ahhh jaaa… dachte ich es mir doch…“ bemerkt Herr Popow und klingelt an der Tür, die ihm von Dimitri geöffnet wird.
„Jaaa?“, fragt dieser ungläubig die ihm bereits bekannten Herren.
„Wir hätten noch ein paar Fragen an Sie – und da wir Sie zu Hause nicht angetroffen hatten, sind wir noch mal hier vorbeigefahren“, antwortet Herr Popow.
„Und? Was wollen Sie?“, fragt Dimitri mit einem etwas herablassenden Blick.
„Wollen wir nicht lieber hineingehen? Oder Publikum…“ – Herr Popow schaut ihn mit eindringlichem Blick an.
„Ich wollte eigentlich gerade gehen, ich habe keine Zeit“, antwortet Dimitri und versucht, die beiden Kommissare abzuwimmeln.
„Nun, das ist natürlich Ihr gutes Recht, aber dann laden wir Sie vor. Ins Kommissariat. Abgesehen davon dürfen Sie vorerst die Stadt nicht verlassen!“, entgegnet Herr Popow.
„Wiesoo??“, Dimitri verschränkt seine Arme vor der Brust. „Bin ich jetzt etwa verdächtig? Ich dachte, sie wollten mich nur befragen?“
„Herr Sobolew, ich würde Ihnen raten, dass wir uns zumindest einmal unterhalten. Drinnen.“ Herr Popow lässt nicht locker.
Seufzend fragt Dimitri: „Herr… Popow? Richtig? Brauche ich einen Anwalt?“
„Rechtlichen Beistand kann Ihnen keiner verwehren. Ich möchte Sie zunächst als Angehörigen befragen. Und das können wir doch unkompliziert handhaben.“ Herr Popow ist ein sehr erfahrener Kommissar.
„Okay. Kommen Sie rein!“ Dimitri öffnet die Tür soweit, dass die beiden Herren eintreten können.
„Also, was wollen Sie wissen? Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragt Dimitri. „Sie können gerne Platz nehmen!“
Beinahe andächtig nehmen die beiden Kommissare auf dem Sofa Platz, Dimitri setzt sich auf einen der Sessel gegenüber und legt seine Hände in den Schoß.
„Herr Sobolew, ich muss Sie fragen, wann Sie das letzte Mal Ihre Schwägerin gesehen haben?!“
Tief Luftholend antwortet dieser: „Puh, keine Ahnung. Vor mehr als einer Woche vielleicht?!“
„Na, ich weiß es nicht. Deswegen frage ich Sie ja“. Erwidert Herr Popow. „Also, Sie haben Amalia Sobolewa vor zirka einer Woche das letzte Mal lebend gesehen. Richtig?“
Kopfnickend bestätigt Dimitri seine Aussage.
„Herr Sobolew, Sie sagten bei unserer ersten Begegnung, als wir hier waren, dass Sie ein gutes Verhältnis zu den beiden hatten. Von Konkurrenz oder Neid keine Spur, nehme ich an?!“
„Nö. Oder ja. Das ist richtig…“ Dimitri bleibt entspannt und gelassen.
„Darf ich fragen, was Sie im Haus Ihres Bruders machen? Eigentlich dürften Sie ja gar nicht hier sein?!“, bemerkt Herr Popow.
„Warum nicht? Es gab noch keine Testamentsvollstreckung. Außerdem ste….“, Dimitri hält inne, was Herr Popow zunächst fragen lässt: „…Jaaa???“. Dimitri weicht den Blicken der Kommissare aus, so dass Herr Popow fortsetzt: „Nun, ich weiß, dass ich vorhin gesagt hatte, dass ich Sie nur befragen möchte, aber vielleicht sollten Sie doch einen Anwalt nehmen! Wir würden mit Ihnen auf `s Kommissariat fahren und Ihr Anwalt sollte dort erscheinen. Ihre Aussagen werden dann entsprechend aufgenommen.“
„Warum…?“, entrüstet steht Dimitri auf.
„Wir haben dringenden Grund zur Annahme, dass Sie aus Habgier Ihren Bruder getötet haben. Mit Rattengift. Über Tage, vielleicht sogar Wochen hinweg“ antwortet Herr Popow.
„So ein Quatsch! Ich hätte doch niemals geerbt!“. Mit einem schmerzverzogenen Seufzen ergänzt er: „Amalia hätte das alles bekommen! AAAAALLLLES!! Dabei hat sie gar nichts dazu beigetragen. Das alles hat er herangeschafft. Internationale Beziehungen eben… Sie hat halt nur ´ne super Partie gemacht…“ Dimitri ist verzweifelt.
„Und Sie? Haben Sie etwas dazu beigetragen? Ihren eigenen Bruder… Und was haben Sie denn mit Amalia gemacht?“ nach einer kurzen Gedankenpause setzt Herr Popow fort: „Herr Sobolew, Sie rufen jetzt Ihren Anwalt an und auf dem Kommissariat werden wir Ihre Aussage aufnehmen!“.
Niedergeschmettert und kraftlos lässt sich Dimitri in den Sessel sinken. Er nimmt schließlich nach einer kurzen Bedenkpause den Telefonhörer und informiert seinen Anwalt.
„Können wir ohne Handschellen zum Auto gehen? Wegen der Leute…“, fragt Dimitri den Hauptkommissar, der verständnisvoll nickt: „Wenn Sie keine Dummheiten machen…?!“ und fügt kurz darauf hinzu: „…außer denen, die Sie schon gemacht haben…“
Im Verhörraum des Kommissariats erklärt Dimitri mit anwaltlichem Beistand auf die Frage des Hauptkommissars, ob er seinen Bruder vergiftet hat: „Ja – ja.“ Beinahe erleichtert gibt er zu Protokoll, dass er tatsächlich Rattengift in die Lieblingsspirituosen seines Bruders gegeben hatte. Das Gift würde man nicht schmecken. Es schmeckt eher etwas süßlich. Passt doch in einen Likör…
„Sie haben aber billigend in Kauf genommen, dass noch andere Personen zu Schaden kommen. Immerhin wurde wohl oft und gern gefeiert. Da darf ich doch annehmen, dass auch Lieblingsspirituosen – wie Sie es nennen – geteilt wurden. Amalia hätte genauso zu Schaden kommen können. Warum das alles? Wegen des Geldes?“
Mit einem Seufzer antwortet Dimitri: „Ach Amalia… sie trinkt keinen Alkohol. Niemals. Das wäre nicht passiert. Und die anderen? Hmmm… jetzt, wo Sie ´s sagen… Ich kann Ihnen noch nicht mal sagen, ob mein Bruder seine Lieblingsliköre überhaupt geteilt hätte“.
„Okay, halten wir fest: Sie haben Ihren Bruder sukzessive vergiftet. Bitte sagen Sie uns, was mit Ihrer Schwägerin passiert ist! Ist ihr etwas zugestoßen?“ fragt Herr Popow eindringlich.
„Amalia ist über alle Berge – oder Meere…“ Dimitri schmunzelt in sich hinein und lehnt sich auf den Schreibtisch: „Ich habe ihr unmissverständlich klargemacht, dass sie die Stadt, eigentlich das Land, verlassen und nie wieder zurückkehren soll“ – und lehnt sich wieder an seiner Stuhllehne an: „Ich habe sie gemocht, deswegen…“ Dimitri zuckt mit den Schultern und grinst in sich hinein.
„Ja, und weiter?“ fragt Herr Popow.
„Sie hat wohl ihren Schmuck und etliches Bargeld mitgenommen. Zumindest war nichts mehr davon im Haus. Ich nehme an, sie ist zum Hafen gelaufen und hat sich mit dem nächsten Schiff ins Ausland abgesetzt. Vielleicht auch mit dem Zug. Wohin auch immer. Schweden, Finnland – Deeeutschland… Keine Ahnung. Sie kann ja etliche Sprachen, ihr wird es nicht schwerfallen, dort anzukommen.“
„Und wie kommen Sie jetzt an das Erbe heran? Immerhin wurde Ihre Schwägerin als Alleinerbin eingesetzt!“ möchte Herr Popow wissen.
„Naja…“ Er beäugt seine Fingernägel… „Ich habe ihr überaus nahegelegt, ihr Erbe auszuschlagen… Nachkommen haben die beiden nicht. Und so bin ich in der gesetzlichen Erbfolge der nächste.“ Triumphierend lächelt Dimitri. „Selbst, wenn ich in den Knast wandere, wenn ich herauskomme, werde ich ein sehr reicher Mann sein!“
„Das wird das Gericht gewiss anders sehen. Sie haben dieses Erbe unrechtmäßig erworben. Wo kommen wir denn hin, wenn man erst jemanden umbringt und dann auch noch das Erbe antreten kann?!“ Herr Popow holt tief Luft: „Neeein, das funktioniert so nicht. Nicht bei uns… Herr Sobolew, ich nehme Sie fest wegen des Verdachts des Mordes an Ihrem Bruder. Und was Ihre Schwägerin angeht, das werden wir noch prüfen!“
Mit einem Kopfnicken in Richtung des Justizvollzugsbeamten schreitet dieser zur Tat und legt Dimitri die Handschellen an.
Nachdem die beiden Kommissare im Verhörraum wieder allein waren, fragt Nikita, wie sein Chef überhaupt auf Dimitri kam. „Ganz einfach. Abgesehen davon, dass kein anderer von dem Erbe vermeintlich profitieren würde, es sei denn, Herr Sobolew hat doch Nachwuchs aus vorherigen Beziehungen, hatte ich schon bei der ersten Begegnung mit ihm so ein Gefühl im Bauch… und ich habe viel Bauch, wie Sie sehen!“ Er fasst sich an sein Feinkostgewölbe und herzhaft lachend verlassen die beiden Kommissare den Verhörraum.
Und wie geht unsere Geschichte mit Amalia weiter? Sie hat ihr Reiseziel in Richtung Schweden geändert. Gönnen wir Amalia ihr neues Glück an Carstens Seite… Ein Happy End…? Kein Ende – es fängt gerade erst an…