Es ist ein sonniger und etwas windiger Sonntagmorgen –
in der alten, wohlhabenden Hansestadt Riga, der Hauptstadt Lettlands. Ein majestätisches Passagierschiff liegt ruhig im Hafen und wartet auf seine Jungfernfahrt. Möwen kreischen und versuchen, hier und da im Fluge Essbares zu ergattern, die Wellen der Ostsee peitschen gegen den Pier. Ein Stimmengewirr und buntes Treiben der offenkundig gut zahlenden Passagiere, die nach und nach an Bord des Schiffes gehen, lassen den Duft der großen weiten Welt erahnen. Familienangehörige und Freunde oder einfach nur Schaulustige sind gekommen und winken ihnen mit weißen Taschentüchern – die einen fröhlich, die anderen traurig ob des Abschieds. Ein jeder der Anwesenden möchte dem Spektakel beiwohnen, wenn dieses Schiff zum ersten Mal den Hafen verlässt, um über die baltische See in die Welt zu starten.
Als nun offensichtlich alle Herrschaften über die Gangway das Schiff passierten und die Schiffsmannschaft in Begriff war, eben diese einzuholen und die Leinen zu lösen, kommt geradezu in letzter Sekunde mit einem Reiseköfferchen eine junge elegante Frau mit hochgesteckten blonden Haaren angerannt. Winkend und rufend macht sie die Mannschaft auf sich aufmerksam, die sogleich das Einholen der Gangway unterbricht. Die junge Frau bedankt sich für die Freundlichkeit des Wartens bei der Besatzung und kann nun mit ihren Papieren das Schiff betreten.
Nach dieser kurzen Verzögerung wird schließlich die Gangway eingeholt, die Leinen werden losgemacht, der Anker gelichtet.
Schließlich legt nun das Kreuzfahrtschiff ab und verlässt unter dem tosenden Jubel all der Schaulustigen, Anverwandten und Freunde den Hafen von Riga.
„Endlich“ –
mit diesem Wort setzt sich Amalia seufzend auf ihr Bett, legt sich zurück und schaut zur Decke. Vieles geht ihr durch den Kopf, vor allem die Ereignisse der letzten Tage.
Sie bewohnt eine der Luxussuiten mit eigenem Sonnendeck und einem unbezahlbaren Meeresblick.
Nachdem sich Amalia wieder aufgerichtet und etwas verschnauft hat, läuft sie zum Fenster, öffnet die Flügeltüren und betritt ihr Sonnendeck. Die frische Meeresluft weht durch ihr hübsch zusammengestecktes Haar und zerzaust es ein wenig, woraufhin sie es öffnet und leicht gelockte Haare auf ihre schmalen Schultern fallen. Amalia schließt ihre Augen und atmet tief durch. „Endlich…“, wiederholt sie flüsternd und öffnet wieder ihre Augen. Ihr Blick fällt dabei zurück auf Riga. Ihr geliebtes Riga mit den zahlreichen Cafés, der einzigartigen Architektur aus Vergangenheit und Gegenwart, mit dem weithin sichtbaren Dom, dem bunten Gewimmel auf den Plätzen und in den hübschen kleinen Gassen der Stadt. Eine Perle in der Ostsee…
Mit zunehmender Entfernung vom Pier werden nun auch die zahlreichen Menschen, deren Jubel kaum noch hörbar ist, immer kleiner, bis sie nur noch wie kleine Punkte auf der Kaimauer erscheinen und schließlich nicht mehr zu sehen sind – und mit ihnen auch Riga.
Mit Tränen in den Augen, aber festem Blick weiß Amalia, dass sie ihre Heimatstadt niemals wiedersehen kann und darf…